Lieben: Roman (German Edition)
Tränen aus, wenn wir ins Bett gegangen waren, und wollte sich mit mir versöhnen. Das gab mir die Chance, noch mehr am Rad meiner Rache zu drehen, denn versöhnen wollte ich mich nicht.
Aber in diesem Zustand zu leben, war unmöglich, und es war nichts, was ich anstrebte, und wenn die Wut, die so hart und unversöhnlich war, verrauchte und alles, was zurückblieb, diese aufgewühlte Seele war, als würde alles, was ich besaß, in Stücke gehen, versöhnten wir uns wieder, kamen wir einander wieder nahe und lebten, wie wir es früher immer getan hatten. Anschließend begann der ganze Prozess von vorn, es war ein Zyklus wie in der Natur.
Ich drückte die Zigarette aus, trank den letzten Schluck der schalen Cola und stand auf, stützte mich aufs Geländer und starrte in den Himmel hinauf, wo an einer Stelle außerhalb der Stadt, zu tief, um ein Stern zu sein, zu regungslos, um ein Flugzeug zu sein, unbeweglich, ein Licht hing.
Was in aller Welt?
Mein Blick ruhte minutenlang darauf. Dann fiel es plötzlich nach links ab, und ich begriff, dass es doch ein Flugzeug sein musste. Regungslos, weil es auf seinem Flug den Öresund hinunter direkt auf mich zugekommen war.
Jemand klopfte ans Fenster, und ich drehte mich um. Es war Vanja, sie grinste und winkte. Ich öffnete die Tür.
»Gehst du ins Bett?«
Sie nickte.
»Ich wollte dir gute Nacht sagen, Papa.«
Ich bückte mich und küsste sie auf die Wange.
»Gute Nacht. Schlaf gut!«
»Schlaf gut!«
Sie lief durch den Flur und in ihr Zimmer, war selbst nach einem so langen Tag noch voller Energie.
Dann würde ich mich wohl mal um den verdammten Abwasch kümmern.
Essensreste über der Mülltonne abschaben, Milch- und Wasserreste aus den Gläsern ausschütten, Apfel- und Möhrenschalen, Plastikverpackungen und Teebeutel aus den Becken entfernen, sie abspülen und alles auf die Arbeitsfläche stellen, kochendheißes Wasser einlassen, ein wenig Spülmittel hineinspritzen, die Stirn gegen den Schrank lehnen und anfangen, Glas für Glas, Tasse für Tasse, Teller für Teller zu spülen. Abspülen. Dann, wenn der Geschirrständer voll war, abtrocknen, um Platz für mehr Teile zu schaffen. Danach der Fußboden, der unter Heidis Sitzplatz geschrubbt werden musste. Die Mülltüte zubinden und den Aufzug in den Keller nehmen, durch die warmen, labyrinthischen Flure zum Müllraum gehen, der völlig verdreckt und rutschig war, in dem Rohre wie Torpedos unter der Decke hingen, voller aufgerissener Streifen und Stücke von Isolierband, und auf dessen Tür mit einem dieser typisch schwedischen Euphemismen »Umweltraum«
stand, die Tüten in eine der großen, grünen Tonnen werfen, nicht ohne an Ingrid zu denken, die bei ihrem letzten Besuch in einem von ihnen Hunderte kleiner Leinwände gefunden und allesamt in unsere Wohnung hinaufgetragen hatte, da sie glaubte, dies würde uns ebenso glücklich machen wie sie selbst, also der Gedanke an die Kinder, die nun auf Jahre hinaus Material zum Malen hatten, den Deckel zuwerfen und in die Wohnung zurückkehren, in der sich Linda im selben Moment aus dem Kinderzimmer schlich.
»Schläft sie?«, sagte ich.
Linda nickte.
»Wie schön du es hier gemacht hast«, sagte sie und blieb im Türrahmen zur Küche stehen. »Möchtest du ein Glas Wein? Wir haben noch die Flasche, die Sissel bei ihrem letzten Besuch mitgebracht hat.«
Mein erster Impuls lautete nein, ich will auf gar keinen Fall von dem Wein. Aber der kurze Gang aus der Wohnung hatte mich ihr gegenüber seltsamerweise sanfter gestimmt, so dass ich nickte.
»Warum nicht«, sagte ich.
Zwei Wochen später, an einem Nachmittag, während Heidi und Vanja um uns tobten, auf der Couch hüpften und kreischten, standen wir nebeneinander und betrachteten zum dritten Mal in unserem Leben einen kleinen blauen Strich auf einem kleinen, weißen Stab und wurden von Gefühlen überwältigt. So kündigte John seine Ankunft an. Er wurde im folgenden Spätsommer geboren, war vom ersten Moment an sanft und geduldig und immer leicht zum Lachen zu bringen, selbst wenn es um ihn herum heftig stürmte. Oft sah er aus, als hätte ihn jemand durch ein Dornengestrüpp gezerrt, war er voller Kratzer, die Heidi ihm zufügte, sobald sich ihr, nicht selten im Schutz einer Umarmung oder eines freundlichen Klapses auf
die Wange, die Gelegenheit dazu bot. Was mich früher so daran gequält hatte, mit einem Kinderwagen durch die Stadt zu laufen, war mittlerweile endgültig abgehakt und außer Diskussion, wenn
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