Lieben: Roman (German Edition)
von Lindas Handy.
»Wie ist es heute Morgen gelaufen?«, sagte ich.
»Grauenvoll«, antwortete sie. »Es war ein einziges Chaos. Ich hatte nichts unter Kontrolle. Heidi hat mal wieder John gekratzt, Vanja und Heidi haben sich geprügelt. Und als wir los wollten, bekam Vanja auf der Straße einen Tobsuchtsanfall.«
»Oh nein, oh nein«, sagte ich. »Das tut mir leid.«
»Und als wir dann in den Kindergarten kamen, sagte Vanja, ›Du und Papa, ihr seid immer so wütend. Ihr seid immer so wütend.‹ Das hat mich so traurig gemacht! So wahnsinnig traurig.«
»Das kann ich verstehen. Das ist wirklich furchtbar. Wir müssen einen Ausweg finden, Linda. Es ist unsere Pflicht. Es ist unsere Pflicht, das hinzubekommen. So wie es jetzt läuft, geht es einfach nicht mehr weiter. Ich werde mich zusammenreißen. Ich bin an vielem schuld.«
»Du hast Recht, das müssen wir«, sagte Linda. »Wenn du zurück bist, müssen wir darüber reden. Es macht mich so verzweifelt, ich will doch nur, dass sie es gut haben. Das ist das Einzige, was ich will. Und dann bekomme ich es einfach nicht hin! Ich bin eine furchtbar schlechte Mutter. Ich schaffe es nicht einmal, mit meinen eigenen Kindern alleine zu sein.«
»Das bist du nicht. Du bist eine fantastische Mutter. Darum geht es nicht. Aber wir werden es hinbekommen. Das werden wir.«
»Ja … Wie war die Reise?«
»Gut. Ich bin jetzt in Kristiansand und fahre gleich zur Universität. Mir graut davor. Es ist wirklich das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Es gibt nichts Schlimmeres. Trotzdem tue ich es immer wieder.«
»Aber eigentlich klappt es dann doch immer ganz gut, oder?«
»Das stimmt so nicht ganz. Manchmal schon. Aber ich will mich nicht beschweren. Das wird schon werden, mir geht es gut. Ich rufe dich heute Abend wieder an, ist das okay? Wenn etwas ist, kannst du mich auf dem Handy anrufen. Anrufe empfangen kann ich.«
»Okay.«
»Was machst du gerade?«
»Ich gehe mit John im Pildammspark spazieren. Er schläft. Es ist schön hier, ich sollte guter Dinge sein. Aber … der Morgen hat mich fertiggemacht.«
»Das geht vorbei. Ihr werdet bestimmt einen schönen Nachmittag haben. Aber jetzt muss ich los. Mach’s gut!«
»Mach’s gut. Und viel Glück!«
Ich legte auf, holte die Tasche und ging hinaus, um eine letzte Zigarette zu rauchen.
MIST. VERDAMMTER MIST.
Ich lehnte mich an die Wand und schaute zum Wald und zu den grauen Felsblöcken zwischen allem Grünen und Gelben hinüber.
Die Sache mit den Kindern machte mich unglaublich traurig. Ich war zu Hause immer so zornig und gereizt und schimpfte bei jeder Kleinigkeit mit Heidi, ja, ich brüllte sie an. Und Vanja, Vanja … Wenn sie ihre Trotzanfälle bekam und nicht nur alles verweigerte, sondern rief und schrie und schlug, schrie ich auch, riss sie hoch, warf sie ins Bett und verlor völlig die Beherrschung. Hinterher bereute ich es und versuchte,
geduldig, nett, freundlich, gut zu sein. Gut. Das war es, was ich sein wollte, das Einzige, was ich wollte, den dreien ein guter Vater zu sein.
War ich das nicht?
MIST. MIST. MIST.
Ich schnippte die Zigarette weg, griff nach meiner Tasche und ging los. Da ich nicht wusste, wo die Universität lag, da etwas Derartiges noch nicht existiert hatte, als ich hier wohnte, nahm ich ein Taxi. Es glitt mit mir auf der Rückbank vom Parkplatz auf die Straße, erst an der Startbahn entlang, danach über den Fluss und an meiner alten Schule vorbei, für die ich mich nicht die Bohne interessierte, die Hügel hinauf und hinunter und vorbei an Hamresanden, dem Campingplatz, dem Strand, den Hügeln mit der Siedlung dahinter, in der die meisten meiner Klassenkameraden gewohnt hatten. Durch den Wald und auf die Timenes-Kreuzung hinaus, um von dort aus bis Kristiansand der E 18 zu folgen.
Die Universität lag hinter einem Tunnel unweit des Gymnasiums, auf das ich gegangen war, jedoch vollkommen isoliert wie eine kleine Insel im Wald. Große, schicke, neue Gebäude. Kein Zweifel, seit ich hier gewohnt hatte, war Norwegen zu Geld gekommen. Die Leute waren besser gekleidet, ihre Autos teurer, und überall hatte man neue Bauvorhaben in Angriff genommen.
Ein bärtiger Mann, ein typischer Lektor mit Brille, nahm mich am Eingang in Empfang. Wir gaben uns die Hand, er zeigte mir den Raum, in dem ich den Vortrag halten sollte, und ging in sein Büro. Ich begab mich in die Kantine, verdrückte ein Baguette, setzte mich draußen in die Sonne, trank Kaffee und rauchte. Überall
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