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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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künstliches Bedürfnis, aber hat man erst einmal Geschmack an ihr gefunden, will man mehr. Und so machte ich meine endlosen Spaziergänge mit Kinderwagen auf Djurgården in Stockholm und wartete darauf, dass das Telefon klingeln und ein Journalist mich etwas fragen, ein Organisator mich irgendwohin einladen, eine Zeitschrift um einen Text bitten, ein Verlag ein Angebot machen würde, bis ich schließlich die Konsequenzen aus dem Abscheu zog, den dies in mir weckte, und zu allen und allem Nein sagte, während das Interesse gleichzeitig verebbte und allein der Alltag übrig blieb. Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich fand einfach keinen Zugang zu ihm, es gab immer etwas anderes, das wichtig war. Vanja saß im Wagen und schaute sich um, wenn ich in der Stadt mal hierhin, mal dorthin trabte, oder saß mit einer Schaufel in der Hand im Sandkasten und grub auf dem Spielplatz im Park Humlegården, wo die ranken und schlanken Stockholmer Mütter um uns herum pausenlos mit ihren Handys telefonierten und den Eindruck erweckten, als säßen sie in irgendeiner verdammten Modenschau, oder sie saß in ihrem Stühlchen in unserer Küche und schluckte das Essen, mit dem ich sie fütterte. Das alles langweilte mich zu Tode. Ich kam mir bescheuert vor, wenn ich durch die Wohnung lief und mit ihr redete, denn sie sagte ja nichts, es gab nur
meine idiotische Stimme und ihr Schweigen, ihr fröhliches Gebrabbel oder unzufriedenes Weinen, also wurde es wieder Zeit, sie anzuziehen und loszutrotten, zum Museum für moderne Kunst auf Skeppsholmen zum Beispiel, wo ich mir wenigstens ein paar gute Gemälde ansehen konnte, während ich auf sie aufpasste, oder zu einer der großen Buchhandlungen in der Innenstadt, oder nach Djurgården oder Brunnsviken hinaus, die Orte in der Stadt, die man am ehesten als Natur bezeichnen konnte, wenn ich denn nicht den langen Weg zu Geir nahm, der damals sein Büro in der stadtauswärts gelegenen Universität hatte. Mit der Zeit beherrschte ich die gesamte Kleinkindapparatur, es gab nichts, was ich im Zusammenleben mit ihr nicht bewältigte, wir waren überall, aber egal, wie gut alles klappte, und egal, wie groß die Zärtlichkeit war, die ich für sie empfand, Langeweile und Fruchtlosigkeit waren größer. Oft drehte sich alles darum, sie zum Schlafen zu bringen, damit ich lesen konnte, und die Tage herumzubekommen, damit ich sie im Kalender abhaken konnte. Ich lernte selbst die entlegensten Cafés in der Stadt kennen, und die Parkbank gab es im Grunde nicht, auf der ich nicht früher oder später mit einem Buch in der einen Hand und dem Griff des Kinderwagens in der anderen Platz nahm. Dostojewski hatte ich dabei, zuerst Böse Geister , danach Die Brüder Karamasow . Dort fand ich das Licht wieder. Aber es war nicht das hohe, klare und reine Licht wie bei Hölderlin, bei Dostojewski gab es keine Höhen, keine Berge, keine göttliche Perspektive, alles befand sich unten im Menschlichen, gehüllt in diese für Dostojewski so typische ärmliche, dreckige, kränkliche und fast schon infizierte Atmosphäre, in der die Hysterie nie weit entfernt war. Dort leuchtete es. Dort bewegte sich das Göttliche. Aber sollte man dort hinein? Sollte man auf die Knie fallen? Wie üblich dachte ich nicht, als ich las, lebte mich nur ein, und nach ein paar hundert Seiten, für die ich mehrere
Tage benötigte, passierte auf einmal etwas, all das, was mühsam aufgebaut worden war, wirkte langsam aufeinander ein, und plötzlich war die Intensität so hoch, dass ich völlig in sie eintauchte, vollkommen mitgerissen wurde, bis Vanja in der Tiefe des Wagens, fast schon misstrauisch, schoss es mir durch den Kopf, die Augen öffnete: Wohin hast du mich denn jetzt wieder gebracht?
    Dann hieß es, das Buch zuschlagen, sie herausheben, den Löffel, das Gläschen und das Lätzchen zusammensuchen, wenn wir in unserer Wohnung waren, das nächste Café ansteuern, wenn wir unterwegs waren, einen Babystuhl holen, sie hineinsetzen und zur Theke gehen, um die Bedienung zu bitten, das Gläschen zu erwärmen, was sie immer nur widerwillig taten, denn in der Stadt wimmelte es damals nur so von Babys, es war ein regelrechter Kinderboom, und da unter den Müttern so viele Frauen über dreißig waren, die bis dahin gearbeitet und ihr eigenes Leben gepflegt hatten, tauchten glamouröse Illustrierte für Mütter auf, in denen die Kinder eine Art Zubehör bildeten, und ein Prominenter nach dem anderen ließ sich mit seiner Familie ablichten und zu ihr

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