Lieben: Roman (German Edition)
zusammen. Ein halbes Jahr währte dieser Zustand, ein halbes Jahr war ich absolut glücklich, absolut gegenwärtig in der Welt und in mir selbst, ehe das Gefühl langsam ermattete und die Welt ein weiteres Mal außer Reichweite verschwand. Ein Jahr später wiederholte sich dies, wenn auch in ganz anderer Weise. Vanja wurde geboren. In dem Moment war es nicht die Welt, die sich öffnete, denn die hatten wir in einer Art absoluten Konzentration auf das Wunder in unserer Mitte ausgeschlossen, sondern etwas in mir. Während die Verliebtheit ungestüm und unachtsam gewesen war, überschäumend von Leben und Rausch, war dieses Erlebnis behutsam und gedämpft, erfüllt von unendlicher Aufmerksamkeit für das Geschehen. Vier Wochen, vielleicht auch fünf, dauerte es an. Wenn ich hinausging, um in der Stadt etwas zu erledigen, lief ich durch die Straßen, raffte an mich, was ich haben wollte, zitterte an der Ladentheke vor Ungeduld und lief mit den schlenkernden Tüten in der Hand zurück. Nicht eine Minute wollte ich verpassen! Tage und Nächte gingen ineinander über, alles war Zärtlichkeit, alles war Sanftheit, und öffnete unsere Tochter die Augen, stürzten wir zu ihr. Da bist du ja! Doch auch das ging vorbei, auch daran gewöhnten wir uns, und ich begann zu arbeiten, saß in meinem neuen Büro in der Dalagatan und schrieb jeden Tag, während Linda mit Vanja zu Hause war und mich mittags besuchte, oft wegen irgendetwas beunruhigt, aber auch glücklich, dem Kind und allem, was vorging, näher als ich, denn ich schrieb, und was zunächst nur ein langer Essay gewesen war, begann langsam, aber sicher zu einem Roman anzuwachsen, der schon bald den Punkt erreichte, ab dem er alles war und ich nichts anderes mehr tun konnte, als zu schreiben, so dass ich in mein Büro zog, wo ich Tag und Nacht schrieb und nur sporadisch eine Stunde schlief. Ich war von einem absolut fantastischen
Gefühl erfüllt, eine Art Licht brannte in mir, nicht heiß und verzehrend, sondern kalt und klar und schimmernd. Nachts nahm ich eine Tasse Kaffee mit und setzte mich auf die Bank vor dem Krankenhaus, um zu rauchen. In den Straßen um mich herum herrschte Stille, und ich konnte kaum ruhig sitzen bleiben, so groß war meine Freude. Alles war möglich, alles ergab Sinn. An zwei Stellen des Romans erreichte ich Höheres, als ich je für möglich gehalten hätte, und diese beiden Stellen, bei denen ich nicht fassen konnte, dass ich sie geschrieben hatte und die niemand sonst bemerkt oder kommentiert hatte, waren allein schon die fünf Jahre voller gescheiterter Versuche und Fehlschläge wert, die ihnen vorausgegangen waren. Das sind die beiden besten Augenblicke meines Lebens. Und damit meine ich wirklich das ganze Leben. Das Glück, mit dem mich dies erfüllte, und das Gefühl von Unbesiegbarkeit, das es mir einflößte, habe ich seither gesucht, aber nicht gefunden.
Ein paar Wochen, nachdem der Roman vollendet war, begann mein Leben als Vater in Elternzeit, und unser Plan sah vor, dass ich bis zum nächsten Frühjahr zu Hause bleiben würde, während Linda das letzte Jahr ihrer Ausbildung an der Staatlichen Theater- und Journalistenschule absolvierte. Das Schreiben des Romans hatte unserer Beziehung zugesetzt, ich schlief sechs Wochen lang in meinem Büro, sah Linda und unsere fünf Monate alte Tochter kaum, und als es endlich vorbei war, reagierte sie erleichtert und froh, und ich war es ihr schuldig, dort zu sein, nicht nur im selben Zimmer, körperlich, sondern auch mit meiner ganzen Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Es gelang mir nicht. Monatelang trauerte ich darum, nicht mehr dort zu sein, wo ich gewesen war, im Kalten, Klaren, und die Sehnsucht dorthin war stärker als die Freude über das Leben, das wir führten. Dass der Roman ein Erfolg war, spielte keine Rolle. Nach jeder guten Besprechung machte ich ein Kreuz ins Buch und wartete auf die nächste,
nach jedem Telefonat mit der Agentin im Verlag, nachdem ausländische Verlage ihr Interesse bekundet oder ein Angebot gemacht hatten, machte ich ein Kreuz ins Buch und wartete auf das nächste, und dass der Roman schließlich für den Literaturpreis des Nordischen Rats nominiert wurde, war mir völlig egal, denn wenn ich in diesem letzten halben Jahr eines begriffen hatte, dann dass es mir beim Schreiben einzig und allein ums Schreiben ging. Der ganze Wert lag darin. Trotzdem wollte ich mehr von dem haben, was dazugehörte, denn öffentliche Aufmerksamkeit ist eine Droge, sie befriedigt ein
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