Lieben: Roman (German Edition)
interviewen. Was früher im privaten Raum vorgegangen war, wurde nun in den öffentlichen gepumpt. Überall konnte man über Wehen, Kaiserschnitt und Stillen, Babykleidung, Kinderwagen und Urlaubstipps für Eltern mit Kleinkindern lesen, es erschienen Bücher von daheimgebliebenen Vätern oder verbitterten Müttern, die sich betrogen fühlten, weil es sie auszehrte, arbeiten zu gehen und gleichzeitig Kinder zu haben. Was früher etwas völlig Normales gewesen war, über das man nicht viele Worte verloren hatte, also Kinder, wurde nun ganz in den Vordergrund des Daseins gerückt und mit einer Energie beackert, die eigentlich jeden veranlassen sollte, die Augenbrauen zu heben, denn was hatte das zu bedeuten? Mitten in diesem Irrsinn schob ich als einer von vielen Vätern, die ihrer
Vaterschaft Vorrang vor allem anderen einräumten, mein Kind durch die Gegend. Wenn ich im Café saß und Vanja fütterte, saß dort immer mindestens ein anderer Vater, vorzugsweise in meinem Alter, will sagen Mitte dreißig, fast jeder mit rasiertem Schädel, um den Haarausfall zu kaschieren, man sah ja kaum noch eine Glatze oder hohen Haaransatz mehr, und immer fand ich ihren Anblick latent unangenehm, denn es fiel mir schwer, das Verweiblichte an ihnen in dem, was sie taten, zu akzeptieren, obwohl ich das Gleiche tat und genauso verweiblicht war wie sie. Die leichte Verachtung, mit der ich diese Kinderwagen schiebenden Männer betrachtete, war gelinde gesagt zweischneidig, da ich ja selbst die meiste Zeit einen vor mir hatte, wenn ich sie sah. Dass ich mit diesen Gefühlen allein stand, bezweifelte ich, denn gelegentlich meinte ich, den unruhigen Blick einzelner Männer auf dem Spielplatz wiederzuerkennen, genau wie die Rastlosigkeit in ihren Körpern, denn sie machten nicht selten ein paar Klimmzüge am Klettergerüst, während die Kinder ringsum spielten. Aber ein paar Stunden täglich mit seinem Kind auf einem Spielplatz zu verbringen, war eine Sache. Es gab Dinge, die weitaus schlimmer waren. Linda hatte gerade begonnen, mit Vanja zu einer Art Babyrhythmik in der Stadtbibliothek zu gehen, und als ich die Verantwortung für das Kind von ihr übernahm, wollte sie, dass Vanja weitermachte. Ich ahnte, dass mich dort etwas Fürchterliches erwarten würde, so dass ich Nein, das werden wir auf gar keinen Fall machen sagte, jetzt kümmere ich mich um Vanja, und bei mir gibt es keine Babyrhythmik. Aber Linda erwähnte sie weiter von Zeit zu Zeit, und nach ein paar Monaten war mein Widerstand gegen die Rolle als Softie so radikal gebrochen und Vanja gleichzeitig so groß geworden, dass ihre Tage eigentlich ein bisschen abwechslungsreicher gestaltet werden sollten, und so sagte ich eines Tages, ja, heute werden wir zur Babyrhythmik in der Stadtbibliothek gehen.
Du musst früh da sein, sagte Linda, es ist schnell voll. Und so kam es, dass ich Vanja an einem frühen Nachmittag den Sveavägen Richtung Odenplan hinaufschob, wo ich die Straße überquerte und durch die Türen zur Stadtbibliothek trat, in der ich bis dahin aus irgendeinem Grund noch nie gewesen war, obwohl sie eines der schönsten Gebäude Stockholms ist, entworfen von Asplund in den zwanziger Jahren, jener Phase, die mir im vorigen Jahrhundert von allen am liebsten war. Vanja war satt, ausgeruht und hatte saubere, für den Anlass sorgsam ausgewählte Kleider an. Ich schob den Wagen in die große Rotunde des Hauptlesesaals, erkundigte mich bei einer Frau an der Ausleihtheke nach der Kinderabteilung, begab mich ihren Anweisungen folgend in einen Seitenflügel voller Regale mit Kinderbüchern, in dem an einer Tür ganz hinten ein Plakat hing, dem man entnehmen konnte, das dort um vierzehn Uhr die Babyrhythmik beginnen würde. Drei Kinderwagen standen bereits da. Auf hinter ihnen stehenden Stühlen saßen ihre Besitzer, drei Frauen in dicken Jacken und mit abgekämpften Gesichtern, alle ungefähr Mitte dreißig, während ihre rotzigen Kinder auf dem Fußboden zwischen ihnen krabbelten.
Ich parkte meinen Wagen neben ihren, hob Vanja heraus, ließ mich mit ihr im Schoß auf einen kleinen Absatz nieder, zog ihr Jacke und Schuhe aus und setzte sie vorsichtig auf den Fußboden. Ich dachte, sie könnte auch ein bisschen krabbeln, aber das wollte sie nicht, sie konnte sich nicht erinnern, an diesem Ort schon einmal gewesen zu sein, wollte deshalb bei mir bleiben und streckte die Arme hoch. Ich hob sie auf meinen Schoß zurück. Dort saß sie und betrachtete interessiert die anderen
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