Lieben: Roman (German Edition)
gebracht, und das wollte er nun feiern. Aber dann hatte er begonnen, sie anzumachen, war immer aufdringlicher geworden und hatte am Ende vorgeschlagen,
dass sie ihn nach Hause begleitete … Tonje war erschüttert, voller Abscheu gewesen, aber auch fasziniert, ahnte ich, denn wie war es möglich, was dachte er sich nur dabei?
Ich konnte mir keinen größeren Verrat vorstellen. Aber ging mein Verhalten nicht in die gleiche Richtung, wenn ich die Blicke all dieser Frauen suchte?
Meine Gedanken wanderten unweigerlich zu Linda, die zu Hause saß und sich mit Vanja beschäftigte, zu ihren Augen, Vanjas neugierigen oder fröhlichen oder schläfrigen, Lindas schönen. Ich hatte nie etwas intensiver haben wollen als sie, und nun hatte ich nicht nur sie bekommen, sondern auch ihr Kind. Warum sollte ich mich damit nicht zufriedengeben können? Warum sollte ich nicht ein Jahr darauf verzichten können, zu schreiben und stattdessen für Vanja ein Vater sein, während Linda ihre Ausbildung abschloss? Ich liebte die beiden, sie liebten mich. Warum hörte all das andere nicht auf, an mir zu reißen und zu zerren?
Ich musste mich einfach noch mehr darauf einlassen. Alles andere vergessen und mich tagsüber nur auf Vanja konzentrieren. Linda alles geben, wa s sie brauchte. Ein guter Mensch sein. Zum Teufel, ein guter Mensch, sollte das für mich etwa nicht zu erreichen sein?
Ich war bis zu dem neuen Sony-Geschäft gekommen und überlegte, ob ich in die Akademiebuchhandlung an der Ecke gehen, ein paar Bücher kaufen und mich in ihr Café setzen sollte, als ich auf der anderen Straßenseite Lars Norén erblickte. Er ging mit einer Tüte aus dem Nike-Geschäft in der Hand die Straße hinauf, die ich heruntergekommen war. Das erste Mal gesehen hatte ich ihn wenige Wochen, nachdem wir in diese Wohnung hier gezogen waren, und zwar im Park Humlegården, Nebel hing über den Bäumen, und uns entgegen kam ein kleiner, hobbitähnlicher Mann ganz in Schwarz. Ich begegnete seinem Blick, der schwarz war wie die Nacht,
und mir lief ein Schauer über den Rücken, was war das für ein Mensch? Ein Zauberer?
»Hast du den Mann gesehen?«, sagte ich zu Linda.
»Das war Lars Norén«, erwiderte sie.
»Das war Lars Norén?«, sagte ich.
Lindas Mutter, die Schauspielerin gewesen war, hatte vor langer Zeit am Königlichen Dramatischen Theater in einem Stück mit ihm zusammengearbeitet, und Lindas beste Freundin, Helena, auch sie Schauspielerin, hatte das Gleiche getan. Helena erzählte, wie er mit ihr gesprochen hatte, ganz schlicht, und dass ihre Formulierungen später wortwörtlich in dem Stück auftauchten, dem Charakter in den Mund gelegt, den sie spielte. Linda drängte mich, die Stücke Chaos ist nahe bei Gott und Nacht, Mutter des Tages zu lesen, die sie ganz fantastisch fand, aber ich kam nie dazu, die Liste über Bücher, die ich lesen wollte, war endlos lang, und bis auf weiteres musste ich mich damit begnügen, ihn gelegentlich zu sehen, denn er tauchte immer mal wieder auf der Straße auf, und wenn wir in unser Lieblingscafé Saturnus gingen, saß er dort nicht selten und wurde interviewt oder unterhielt sich einfach mit jemandem. Er war nicht der einzige Autor, auf den ich stieß; in der Bäckerei hinter uns sah ich einmal Kristian Petri, den ich fast gegrüßt hätte, so ungewohnt war es für mich, Gesichtern zu begegnen, die ich schon einmal gesehen hatte, und einmal Peter Englund am selben Ort, während Lars Jakobson, der den fantastischen Roman Das Schloss der roten Dame geschrieben hatte, in das Café Dello Sport kam, als wir dort saßen, und Stig Larsson, von dem ich Anfang zwanzig wie besessen gewesen war, und dessen Buch Behüte die meinen mich wie ein Faustschlag getroffen hatte, sah ich einmal auf der Terrasse des Restaurants Sturehof, er las in einem Buch, und mein Herz pochte so, dass man hätte meinen können, ich sähe einen Toten. Ein anderes Mal sah ich ihn im Pelikan, damals
war ich mit jemandem zusammen dort, der seine Begleitung kannte, und ich gab ihm die Hand, trocken wie ein Bündel trockenes Stroh, während er mich teilnahmslos ansah. Aris Fioretos sah ich eines Abends im Forum, Katarina Frostenson war auch dort, und Ann Jäderlund begegnete ich bei einem Fest im Stadtteil Södermalm. All diese Autoren hatte ich gelesen, als ich in Bergen saß, damals waren sie nur fremde Namen gewesen, die in einem fremden Land lebten, und als ich sie leibhaftig sah, waren sie in die Aura von damals gehüllt, was ein starkes
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