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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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liegt
darin, dass sie niemals im Rahmen der Handlung in ihnen verwirklicht werden, denn dies ist gerade die Folge seiner eigenen Demut und Selbstauslöschung als Schriftsteller. Im Gegensatz zu den meisten anderen großen Autoren ist Dostojewski in seinen Romanen selbst nicht sichtbar. Es gibt keine Brillanz in den Sätzen, die auf ihn hindeutet, es lässt sich keine letztgültige Moral herauslesen, er verwendet all seine Klugheit und seinen Fleiß darauf, die Menschen individuell zu gestalten, und da es so viel im Menschen gibt, was sich nicht demütigen oder auslöschen lässt, gewinnen immer der Kampf und die Aktivität über die Passivität der Gnade und Verzeihung. Davon ausgehend kann man sich beispielsweise sein Verständnis des Nihilismus ansehen, der nie real wirkt, immer nur wie eine fixe Idee, wie ein Teil aus dem ideengeschichtlichen Himmel seiner Zeit, gerade weil sich überall das Menschliche Bahn bricht, in all seinen Formen, vom Groteskesten und Animalischsten bis zum aristokratisch Verfeinerten und seinem verdreckten, armen und weltlichem Prunk abgewandten Jesus-Ideal, und schlichtweg alles, auch eine Diskussion über Nihilismus, ist bis oben hin mit Sinn erfüllt. Bei einem Schriftsteller wie Tolstoi, der ebenfalls in der Zeit der großen Umbrüche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts arbeitete und wirkte, und der auch von allen möglichen religiösen und moralischen Anfechtungen durchströmt wurde, sieht es ganz anders aus. Bei ihm gibt es lange Beschreibungen von Landschaften und Räumen, Sitten und Kleidern, bei ihm raucht der Büchsenlauf, nachdem ein Schuss abgefeuert wurde, der Knall kehrt in einem schwachen Echo wieder, das getroffene Tier bäumt sich auf, ehe es umfällt, und das Blut dampft, wenn es auf die Erde läuft. Bei ihm wird die Jagd in umfangreichen Darlegungen abgehandelt, die nichts anderes sein wollen als das, eine sachkundige Dokumentation eines objektiven Phänomens, eingeschoben in eine ansonsten handlungsreiche
Erzählung. Dieses Eigengewicht der Taten und Dinge gibt es bei Dostojewski nicht, es verbirgt sich immer etwas anderes dahinter, ein Drama der Seele, was bedeutet, dass er immer einen Aspekt des Menschlichen außer Acht lässt, und zwar das, was uns mit allem außerhalb von uns verbindet. Vielfältige Winde durchwehen den Menschen, und es gibt andere Gebilde in ihm als die Tiefe der Seele. Die Verfasser des Alten Testaments wussten das besser als jeder andere. Die unvergleichlich reichste Schilderung aller erdenklichen Erscheinungsformen des Menschlichen findet man dort, alle vorstellbaren Gestaltungen von Leben sind dort repräsentiert, abgesehen von der einen, für uns einzig gültigen, also der inneren. Die Einteilung des Menschlichen in Unterbewusstes und Bewusstes, Irrationalität und Rationalität, wobei das eine stets das andere erklärt oder vertieft, und das Verständnis von Gott als etwas, in das man seine Seele versenken kann, so dass der Kampf endet und sich der Friede einstellt, sind neue Vorstellungen, unauflöslich verbunden mit uns und unserer Zeit, die nicht ohne Grund dafür gesorgt hat, dass uns die Dinge entgleiten, indem sie eins wurden mit unserem Wissen über sie oder unserem Bild von ihnen, während wir gleichzeitig das Verhältnis zwischen Mensch und Welt auf den Kopf gestellt haben: War es früher der Mensch, der die Welt durchschritt, ist es heute die Welt, die den Menschen durchschreitet. Und wenn sich der Sinn verschiebt, folgt ihm die Sinnlosigkeit. Es ist nicht mehr das Ausschleusen Gottes, das uns wie im 19. Jahrhundert der Nacht öffnet, als das übriggebliebene Menschliche alles übernahm, wie man es bei Dostojewski und Munch und Freud beobachten kann, als der Mensch, vielleicht aus Gnade, vielleicht aus Lust, zu seinem eigenen Himmel wurde. Daraufhin sah man, dass es einen Himmel über dem Menschlichen gab und dass dieser nicht nur leer, schwarz und kalt, sondern auch unendlich war. Welchen Wert hatte
das Menschliche in diesem Universum? Was war der Mensch auf Erden anderes als Getier unter anderem Getier, ein Leben unter anderen Leben, die sich ebenso gut manifestieren konnten als Algen in einem See oder Pilze auf einem Waldboden, Rogen in einem Fischbauch, Mäuse in einem Nest oder einer Traube Muscheln auf einer Schäre? Warum sollten wir das eine tun, aber nicht das andere, wenn es ohnehin kein anderes Ziel oder keine andere Richtung im Leben gab, als dass wir uns zusammenballten, lebten und schließlich starben? Wer

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