Lieben: Roman (German Edition)
ähnelten einander, sie waren in den Fünfzigern, trugen Brillen, waren korpulent, hatten Mäntel an, hielten Tüten mit Aufschriften wie Åhléns, Lindex, NK, Coop, Hemköp in den Händen. Männer im gleichen Alter gab es weniger, aber diese sahen sich oft ähnlich, wenn auch in anderer Weise. Brillen, sandfarbene Haare, blasse Augen, grünliche oder gräuliche Jacken mit leicht freizeitmäßiger Ausstrahlung, eher schlank als rundlich. Ich sehnte mich danach, allein
zu sein, aber dazu bestand keine Möglichkeit, und so trieb ich weiter die Straße hinauf. Dass mir alle Gesichter fremd waren und es wochen- und monatelang bleiben würden, da ich hier keine Menschenseele kannte, hinderte mich nicht daran, mich beobachtet zu fühlen. Selbst als ich auf einer kleinen Insel weit draußen im Meer wohnte, auf der außer mir nur drei andere Menschen lebten, fühlte ich mich beobachtet. Stimmte mit dem Mantel etwas nicht? Der Kragen, sollte ich ihn vielleicht nicht so hochschlagen? Meine Schuhe, sahen sie aus, wie Schuhe aussehen sollten? Ging ich womöglich irgendwie komisch? Fiel ich irgendwie ein bisschen nach vorn? Oh, ich war ein Idiot, ein Idiot. Die Flamme der Dummheit brannte in mir. Oh, was war ich nur für ein Idiot. Ein dummer, idiotischer, bescheuerter Idiot war ich. Meine Schuhe. Mein Mantel. Dumm, dumm, dumm. Mein Mund, gestaltlos, meine Gedanken, gestaltlos, meine Gefühle, gestaltlos. Es artete alles aus. Nirgendwo gab es etwas Festes. Etwas Hartes, etwas Notwendiges. Weich und feucht und dumm. Verdammt, oh, verdammt, oh, verdammt, was war ich nur dumm. In einem Café konnte ich keine Ruhe finden, im Nu hatte ich alle erfasst, die sich dort aufhielten, und fuhr fort, sie zu erfassen, und jeder einzelne Blick, der mich traf, reichte bis in mein tiefstes Inneres, wühlte in meinem Innersten, und jede einzelne meiner Bewegungen, selbst wenn ich nur in einem Buch blätterte, setzte sich wie von selbst als Zeichen meiner Dummheit fort, und jede meiner Bewegungen sagte: Hier sitzt ein Idiot. Also war es besser zu gehen, denn dabei verschwanden die Blicke einer nach dem anderen, und sicher, sie wurden von neuen ersetzt, doch diese bekamen nie die Zeit, sich zu etablieren, sondern glitten bloß vorüber, da geht ein Idiot, da geht ein Idiot, da geht ein Idiot. Das war der Gesang beim Gehen. Und ich wusste, dass es nicht stimmte, dass es etwas war, was ich in meinem Inneren trieb, aber das half mir nicht weiter,
denn sie reichten in mein Inneres, sie wühlten in meinem Inneren, und selbst die am schlechtesten angepasste von allen, selbst die hässlichste, fetteste und schäbigste von allen, selbst die Frau mit dem gähnenden Mund und den leeren Idiotenaugen konnte mich ansehen und dabei sagen, dass ich nicht war, wie ich sein sollte. Selbst sie. So war es. Als ich durch das Menschengewimmel ging, unter dem dunkler werdenden Himmel, zwischen den fallenden Schneeflocken, an Geschäft auf Geschäft mit leuchtenden Einrichtungen vorbei, alleine in meiner neuen Stadt, ohne einen Gedanken daran, wie es hier laufen würde, denn das spielte keine Rolle, das spielte nun wirklich keine Rolle, lautete mein einziger Gedanke, dass ich das hier durchstehen würde. »Das hier«, das war mein Leben. Es durchzustehen, das war es, was ich tat.
In einer Passage gleich neben dem großen Kaufhaus entdeckte ich einen Friseursalon, den ich übersehen hatte, als ich das erste Mal vorbeikam. Ich war sofort an der Reihe. Die Haare wurden nicht gewaschen, sondern mit Hilfe einer Sprühflasche mit Wasser befeuchtet. Der Friseur, ein Einwanderer, ich tippte auf Kurde, fragte mich, wie ich die Haare haben wollte, ich sagte kurz und zeigte mit Daumen und Zeigefinger, wie kurz ich sie mir vorgestellt hatte. Er wollte wissen, was ich so machte, ich sagte ihm, ich sei Student, er fragte, woher ich komme, ich sagte Norwegen, er fragte, ob ich Urlaub habe, ich sagte ja, und daraufhin wurde kein Wort mehr gesprochen. Rund um den Stuhl fielen die Haare zu Boden. Sie waren fast schwarz, was seltsam war, denn wenn ich mich im Spiegel betrachtete, hatte ich helle Haare. So war es immer schon gewesen. Obwohl ich wusste , dass meine Haare dunkel waren, sah ich es nicht. Ich sah helle Haare, wie es in meiner Kindheit und Jugend gewesen war. Selbst auf Bildern sah ich helle Haare. Nur wenn sie geschnitten wurden und abgetrennt betrachtet
werden konnten, zum Beispiel auf weißen Bodenfliesen wie hier, sah ich, dass sie dunkel, fast schwarz waren.
Als ich
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