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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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sie selbst so gerne beeindruckt.
    Als wir eines Abends alle zusammen auf dem Gras saßen
und tranken und uns unterhielten, erzählte er von einem Interview, das er für Vagant mit Svein Jarvoll geführt hatte, wie sich alles geöffnet hatte an jenem Abend, an dem sie miteinander sprachen, welche Präzision alles bekam, was gesagt wurde, und wie daraus etwas Außergewöhnliches entstanden war.
    Ich erzählte von einem Interview, das ich für Vagant mit Rune Christiansen geführt hatte, und bei dem das Gleiche passiert war. Vor unserem Treffen hatte ich mich gefürchtet, denn ich hatte keine Ahnung von Lyrik, aber dann war eine große Offenheit entstanden, und wir unterhielten uns über all das, worüber zuvor kein Gespräch möglich gewesen war. Es wurde ein richtig gutes Interview, erklärte ich.
    Arve lachte.
    Wie er alles, was ich gesagt hatte, allein dadurch disqualifizieren konnte, dass er lachte. Alle Anwesenden wussten, dass Arve Recht hatte, sämtliche Autorität war dort gebündelt, in dem hypnotischen Punkt, den sein Gesicht an diesem Abend bildete. Linda war dabei, auch Linda sah es.
    Arve kam aufs Boxen zu sprechen, auf Mike Tyson und seinen letzten Kampf, bei dem er Holyfields Ohr abbiss.
    Ich meinte, das sei doch nicht schwer zu verstehen. Tyson brauchte einen Ausweg, er wusste, dass er verlieren würde, also biss er das Ohr ab, wodurch der Kampf endete, ohne dass er sein Gesicht verlor. Arve lachte erneut und meinte, das bezweifele er. Dann wäre es ja eine rationale Handlung gewesen. Aber es habe nicht die leiseste Spur von Rationalität bei Tyson gegeben. Und dann sprach er darüber in einer Art, die mich an die Szene in Apocalypse now denken ließ, in der dem Ochsen der Kopf abgeschlagen wird. Die Dunkelheit und das Blut und die Trance. Möglicherweise gingen meine Gedanken in diese Richtung, weil Arve an dem Tag über den Willen gesprochen hatte, den die Vietnamesen zeigten, als sie Kindern,
die man geimpft hatte, die Arme abhackten, dass es unmöglich war, darauf zu reagieren, oder man darauf nur mit einem Willen reagieren konnte, der bereit war, genauso weit zu gehen.
    Am nächsten Tag trommelte ich einige Leute zum Fußballspielen zusammen. Ingmar Lemhagen trieb einen Ball für uns auf, wir kickten eine Stunde, und hinterher, als ich mich mit einer Cola in der Hand neben Linda ins Gras setzte, sagte sie, ich ginge wie ein Fußballspieler. Sie habe einen Bruder, er spiele Fußball und Hockey, und wir stünden und gingen ungefähr gleich. Arve dagegen, meinte sie, hast du gesehen, wie er geht? Nein, sagte ich. Er geht wie ein Balletttänzer, sagte sie. Leicht und ätherisch. Hast du das nicht gesehen? Nein, sagte ich und lächelte sie an. Sie erwiderte mein Lächeln kurz und stand auf. Ich legte mich hin und starrte in die weißen Wolken hinauf, die langsam weit in der blauen Tiefe des Himmels vorübertrieben.
    Nach dem Abendessen machte ich einen langen Spaziergang im Wald. Blieb vor einer Eiche stehen, blickte lange in die Laubkrone hinauf. Knipste eine Eichel ab und ging weiter, während ich sie in meiner Hand drehte und von allen Seiten und Winkeln musterte. All diese kleinen, regelmäßigen Muster in dem kleinen, knorrigen, korbartigen Teil, in dem die Nuss ruhte. Die Streifen helleren Grüns im Dunkeln entlang der glatten Oberfläche. Die perfekte Form. Könnte ein Luftschiff sein, könnte ein Wal sein. Immerhin ist sie oval, dachte ich und lächelte. Alle Blätter waren identisch, sie wurden jedes Frühjahr ausgespuckt, in grotesken Mengen, die Bäume waren Fabriken, produzierten schöne und kompliziert gemusterte Blätter aus Sonnenlicht und Wasser. Wenn sich dieser Gedanke erst einmal festgesetzt hatte, war es beinahe unerträglich, an die Monotonie zu denken. Das alles stammte aus ein paar Texten von Francis Ponge, die ich im Frühsommer
gelesen hatte, Rune Christiansen hatte sie mir empfohlen, sein Blick hatte Bäume und Blätter für mich für immer verändert. Sie wallten aus einem Brunnen hoch, dem Brunnen des Lebens, er war unerschöpflich.
    Oh, die Willenlosigkeit.
    Es war furchteinflößend, dort zu gehen, umgeben von der riesigen, blinden Kraft in allem, was wuchs, unter dem Licht der Sonne, die brannte und brannte, auch sie blind.
    Es war ein gellender Ton, der dadurch in mir angeschlagen wurde. Gleichzeitig gab es in mir einen anderen Ton, den Klang der Sehnsucht, und diese Sehnsucht richtete sich nicht länger auf etwas Abstraktes, wie es in den letzten Jahren der Fall gewesen

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