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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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nichts Instrumentelles. Er hatte einen erfahrenen Blick auf die Welt, so war es wahrscheinlich, und wie bei allen, die viele Erfahrungen gemacht hatten, blieb am Ende im Grunde nur noch das Lachen. Lachen war die einzig adäquate Art, dem Handeln und den Vorstellungen der Menschen zu begegnen.
    Das begriff ich, und während ich es nutzte, um mich gegen alles zu wehren, was seine Offenheit mir gab, war ich dafür doch nicht stark genug, ängstigte es mich auch.
    Er wusste etwas, was ich nicht wusste, er begriff etwas, was ich nicht begriff, er sah etwas, was ich nicht sah.
    Das sagte ich ihm.
    Er lächelte.
    »Ich bin vierzig, Karl Ove. Du bist dreißig. Das ist ein großer Unterschied. Das ist es bestimmt, was du spürst.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Es geht um etwas anderes. Du hast eine Art Einsicht in die Dinge, die mir fehlt.«
    »Mehr! Mehr!«
    Er lachte.
    Seine Ausstrahlung war ganz um die dunklen, intensiven Augen zentriert, aber er war nicht finster, er lachte viel, sein Lächeln wich nur selten von den leicht verzogenen Lippen. Er hatte eine starke Ausstrahlung, er war ein Mann, dessen Präsenz man spürte, aber es war keine körperliche Präsenz, denn sein Körper, schlank und leicht, fiel einem überhaupt nicht auf. Mir jedenfalls nicht. Arve, dessen Schädel rasiert
war, der dunkle Augen hatte, ständig lächelte und ein intensives Lachen besaß. Seine Gedankengänge wurden stets in etwas für mich Unerwartetes getrieben. Dass er sich mir öffnete, war mehr, als ich mir jemals erhofft hätte. Plötzlich konnte ich alles aussprechen, was ich bis dahin in meinem Inneren verborgen hatte, und noch viel mehr, denn es war, als hätte er mich angesteckt, plötzlich schossen auch meine Gedankengänge ins Unerwartete, und das Gefühl, das dabei in mir keimte, war Hoffnung. War ich möglicherweise trotz allem ein Schriftsteller? Arve war es. Aber ich? Angesichts meiner Gewöhnlichkeit? Angesichts meines Fußball- und Unterhaltungsfilmlebens?
    Was ich alles redete.
    Das Taxi kam, ich öffnete den Kofferraum und plapperte weiter, verkatert und aufgekratzt, wir legten unsere Rucksäcke hinein, setzten uns in den Wagen, ich redete weiter auf dem Weg durch die schwedische Landschaft bis Biskops-Arnö, wo unser Seminar natürlich längst begonnen hatte. Als wir aus dem Taxi purzelten, hatten sie gerade zu Mittag gegessen.«
    »Und in dem Stil ging es weiter?«, sagte Geir.
    »Und in dem Stil ging es weiter«, erwiderte ich.
     
    Ein Mann kam zu uns und stellte sich als Ingmar Lemhagen vor. Er leitete den Kurs. Er sagte mir, mein Buch habe ihm sehr gefallen, beim Lesen sei ihm ein anderer norwegischer Autor in den Sinn gekommen. Wer?, fragte ich, und er lächelte verschmitzt, das müsse warten, bis wir meinen Text im Plenum besprechen würden.
    Ich dachte, bestimmt Finn Alnæs oder Agnar Mykle.
    Ich stellte draußen mein Gepäck ab, betrat den Speisesaal, schaufelte ein wenig Essen auf einen Teller, schlang es hinunter. Alles schwankte, denn ich war immer noch betrunken,
aber nur ein bisschen, so dass ich ganz von Spannung und der Freude erfüllt war, dort zu sein.
    Ich bekam ein Zimmer zugewiesen, stellte mein Gepäck darin ab und ging zu dem Gebäude, in dem der Kurs abgehalten werden sollte. Das war der Moment, in dem ich sie sah. Sie stand an die Wand gelehnt, ich sagte nichts zu ihr, denn dort waren noch viele andere, aber ich sah sie, und es gab etwas an ihr, was ich haben wollte. Als ich sie sah, war es in derselben Sekunde da.
    Eine Art Explosion.
    Wir wurden derselben Gruppe zugeteilt. Als wir uns setzten, sagte die Leiterin, eine Finnin, kein Wort, es war eine Art Unterrichtstrick von ihr, aber keiner von uns biss an, alle blieben die ersten fünf Minuten still, bis die Sache zu unangenehm wurde, und jemand die Initiative ergriff.
    Ich war mir die ganze Zeit ihrer Anwesenheit bewusst.
    Was sie sagte, wie sie sprach, aber vor allem ihrer Gegenwart, ihres Körpers in dem Raum.
    Warum, weiß ich nicht. Vielleicht machte mich mein Zustand empfänglich dafür, was sie hatte oder wer sie war.
    Sie stellte sich vor. Linda Boström. Sie hatte ihr erstes Buch veröffentlicht, eine Gedichtsammlung mit dem Titel Mach mich angenehm für die Wunde , sie wohnte in Stockholm und war fünfundzwanzig Jahre alt.
    Der Kurs dauerte fünf Tage. Ich umkreiste sie die ganze Zeit. An den Abenden trank ich so viel, wie ich nur konnte, und schlief praktisch nicht. In einer Nacht begleitete ich Arve in einen kryptaähnlichen

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