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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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dem Menschen, zu dem ich im Laufe dieser Tage geworden war, will sagen zu einem Sechzehnjährigen. Meine Gefühle waren die eines Sechzehnjährigen, mein Verhalten das eines Sechzehnjährigen. Auf einmal war ich so unsicher, wie ich es seit damals nicht mehr gewesen war. Alle waren in einem Raum versammelt, wir sollten unsere Texte vorlesen, einer nach dem anderen einsetzen, das Ganze sollte zu einem Chor werden, in dem sich die individuelle Stimme auflöste. Lemhagen zeigte auf jemanden, der zu lesen begann. Dann zeigte er auf mich. Ich sah ihn unsicher an.
    »Soll ich jetzt lesen? Während er liest?«, sagte ich.
    Alle lachten. Ich lief rot an. Aber als wir in Schwung kamen, merkte ich, wie gut mein Text war, wirklich eindeutig besser als die anderen, verankert in etwas ganz Anderem und Wichtigerem.
    Als wir hinterher draußen auf dem Kies standen, sagte ich das Arve.
    Er lächelte nur, sagte aber nichts.
     
    Jeden Abend sollten zwei oder drei von uns für die anderen lesen. Ich freute mich darauf, immerhin war Linda da, und ich würde ihr zeigen, wer ich war. Normalerweise las ich gut und bekam oft Applaus. Hier lief es jedoch nicht gut, schon nach dem ersten Satz begann ich, an meinem Text zu zweifeln, er war lächerlich, und ich wurde immer kleiner, bis ich mich vor
Scham errötend wieder hinsetzte. Nach mir war Arve an der Reihe.
    Als er las, passierte etwas. Er verzauberte alle. Er war ein Zauberer.
    »Das war unglaublich gut!«, sagte Linda zu mir, als Arve fertig war.
    Ich nickte und lächelte.
    »Ja, er ist wirklich gut.«
    Wutentbrannt und verzweifelt ging ich fort, holte mir ein Bier und setzte mich auf die Treppe vor dem Raum. Ich dachte: Linda, jetzt gehst du da weg und kommst her. Hörst du? Verlass den Raum und komm her. Du sollst mir folgen. Wenn du das tust, wenn du jetzt herkommst, gehören wir zusammen. Dann steht es fest.
    Ich glotzte die Tür an.
    Sie öffnete sich.
    Es war Linda!
    Mein Herz pochte.
    Es war Linda! Es war Linda!
    Sie überquerte den Platz, und ich zitterte vor Glück.
    Dann bog sie ab und ging auf das zweite Gebäude zu, gleichzeitig hob sie die Hand und grüßte mich.
    Am nächsten Tag machten alle einen Spaziergang im Wald, und ich ging neben Linda, ganz vorn, und die anderen hinter uns fielen zurück, so dass ich mit ihr allein im Wald war. Sie zwirbelte einen Grashalm und warf mir gelegentlich lächelnd einen Blick zu. Ich bekam kein Wort heraus. Keinen Ton. Ich sah zu Boden, ich sah in den Wald hinein, ich sah sie an.
    Ihre Augen leuchteten. Sie hatte in diesem Moment nichts Finsteres und Tiefes und Verlockendes, alles an ihr war leicht und flirtend, sie zwirbelte und zwirbelte ihren Halm, lächelte, sah mich an, senkte den Blick.
    Was war das jetzt?
    Was hatte das zu bedeuten?
    Ich fragte sie, ob wir unsere Bücher tauschen sollten, sie sagte, klar, warum nicht. Sie kam zu mir, als ich auf dem Rasen lag und in die Wolken schaute und überreichte mir das Buch. Biskops-Arnö, 99.07.01, Für Karl Ove, Linda , stand auf der Titelseite. Ich lief hinein und holte ein Exemplar meines bereits mit einer Widmung versehenen Buchs und gab es ihr. Als sie gegangen war, kehrte ich in mein Zimmer zurück und las. Beim Lesen schmerzte alles an mir vor Lust auf sie, jedes Wort kam von ihr, war sie.
    Mitten in dem Ganzen, meinem unbändigen Verlangen nach Linda und meinem Rückfall ins Alter eines Sechzehnjährigen, nahm ich alles verändert wahr. Das wuchernde Grün, ich sah, wie wild und chaotisch es war, und gleichzeitig, wie einfach und klar die Formen der Pflanzen waren, und dies erweckte ein fast ekstatisches Gefühl in mir zum Leben, die alten Eichenbäume, der Wind, der durchs Laub strich, die Sonne, das Blau des unendlichen Himmels.
    Ich schlief nicht, aß kaum und trank jeden Abend, trotzdem war ich nicht müde oder hungrig und konnte problemlos am Kurs teilnehmen. Die Gespräche mit Arve gingen immer weiter, das heißt, ich fuhr fort, ihm von mir zu erzählen, und mit der Zeit, auch immer mehr über Linda. Er sah mich, und er sah die anderen im Kurs, und dann unterhielten wir uns über Literatur. Meine Art, darüber zu sprechen, veränderte sich, denn je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto freier wurden meine Gedanken, und ich dachte, dass dies ein Geschenk war. Zwischen den Unterrichtsstunden lagen wir auf dem Rasen vor den Gebäuden und unterhielten uns, dann kamen die anderen dazu, und ich wurde eifersüchtig auf ihn, denn ich sah, wie sehr er sie beeindruckte, und hätte

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