L(i)ebenswert (German Edition)
seinen Fesseln zerrte, sie wollten sich nicht lösen. Seine Kleidung und die Stiefel, für die er so dankbar gewesen war, zogen ihn jetzt erbarmungslos in die Tiefe. Ninosh strampelte um sein Leben, schaffte es ein zweites Mal nach oben, obwohl seine Lungen brannten und zornige rote Flecken vor seinen Augen tanzten. Hustend und spuckend versuchte er das Wasser loszuwerden, das in seinen Mund eingedrungen war, um Platz für die kostbare Luft zu schaffen. Seine Muskeln erlahmten, geschwächt von den Verletzungen und der Kälte des Flusses. Er konnte sich nicht mehr halten, drohte erneut unterzugehen. Ninosh wusste, dass er kein drittes Mal mehr hochkommen würde.
In diesem Moment rammte ihn etwas hart an der Schulter. Sofort ging er unter, schluckte dabei Wasser.
Vorbei! Es war vorbei. Ninosh gab den Kampf auf, der lediglich das Leiden verlängerte. Vielleicht wartete tatsächlich ein Leben nach dem Tod auf ihn, wie die Priester es immer versprochen hatten?
Da gab es plötzlich einen Ruck, Ninosh wurde in die Höhe gezerrt. Luft! Er würgte Wasser heraus, hustete eine Ewigkeit lang. Erst dann wurde ihm bewusst, dass er auf einem großen Ast lag, gehalten von einer Hand, die sich in sein Hemd gekrallt hatte.
„Pack doch zu, Mann! Ich kann dich nicht ewig so halten!“, brüllte eine allzu bekannte Stimme. Geron …
„Ich kann nicht!“, stieß er hervor und wartete darauf, zurück in den Fluss gestoßen zu werden.
Beinahe hätte Geron losgelassen, als ihm klar wurde, wem er da gerade das Leben gerettet hatte. Seine Freunde, seine Kameraden – hätte er nicht einen von ihnen erwischen können? Warum ausgerechnet Ninosh, den er längst tot geglaubt hatte, erstickt im Rauch oder von den Flammen umgebracht?
Lass ihn los, dann hast du die Hände frei, um jemand anderen zu retten!, dachte er. Stattdessen zog er sich wild fluchend höher auf den Ast und umklammerte Ninosh mit aller Kraft. Geron wusste, dass er niemanden mehr finden würde. Wer es nicht bereits bis zum Ufer geschafft hatte, war längst ertrunken. Ninosh musste als einer der Letzten von Bord gegangen sein. Geron hatte sich bei seinem Sprung in dem Ast verfangen, der wiederum in einem Felsen verkeilt gewesen war, und Ewigkeiten gekämpft, um freizukommen. Irgendetwas musste das Schicksal mit ihm und diesem gewissenlosen Mörder vorhaben, dass es so beharrlich dafür sorgte, ihn am Leben zu erhalten …
Er spürte, wie Ninoshs Bewegungen schwächer wurden und auch er selbst würde die Kälte des Wassers nicht mehr lange ertragen. Seine Finger wurden taub, bis er kaum wusste, ob er den Mann tatsächlich weiterhin hielt. Die verdammte Dunkelheit machte alles noch schlimmer. Geron konnte nichts tun, um sie hier herauszubringen, da er nicht wusste, wo das Ufer war und welche Hindernisse sich im Weg befanden. Solange er Ninosh umklammerte, hatte er die Hände nicht frei, um den Ast in eine andere Richtung lenken zu können. Möglicherweise würde er ihn doch sterben lassen müssen, um sein eigenes Leben zu retten. Wie still es war … Keine Schreie mehr, kein brüllendes Feuer. Nur das Gluckern des Wassers und seine eigenen hektischen Atemzüge waren zu hören. Ob Ninosh überhaupt …
„Hey, hörst du mich? Bist du noch bei mir?“, fragte er mühsam. Seine vor Kälte zitternden Lippen wollten die Silben kaum bilden.
Als keine Antwort kam, zog sich ihm innerlich alles zusammen. Er wollte nicht allein hier draußen stranden! Besser einen Mörder an seiner Seite als einsam in der Wildnis verloren zu gehen.
„Verdammt, sag was, los!“
Ein fast unhörbares Seufzen brachte Erleichterung. Ninosh lebte. Lange würde er wohl nicht mehr durchhalten, aber es bestand Hoffnung. Wenn er …
Gerons Beine stießen auf Grund. Hastig stellte er sich aufrecht, oder zumindest hoffte er es. Seine Füße waren so kalt gefroren, dass er sie nicht mehr spürte.
„Ninosh, hilf mit! Hier ist eine Untiefe, vielleicht sind wir in Ufernähe!“
Eigentlich rechnete er nicht mit einer Regung, geschweige denn Hilfe von dem jungen Mann, doch er spürte, wie dieser sich bewegte und versuchte, Gerons Anweisungen zu folgen.
„Stütz dich auf dem Ast ab, ich komme hinter dich!“
Die Strömung war weiterhin stark, Geron musste kämpfen, nicht fortgeschwemmt zu werden, zugleich den Ast und Ninosh festhalten und in dem Moment, als er kurz mit einer Hand loslassen musste, beten, dass er keinen von beiden verlor. Aber es gelang; schließlich presste er den Körper seines Feindes an
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