Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
Vom Netzwerk:
Prellung wütete über die unkontrollierten Bewegungen. Es raubte ihm den Atem. Diese elementarste Lebensregung stand seit Tagen im Mittelpunkt seines Denkens. Die Schmerzen waren unwichtig, Luft schöpfen bedeutete hingegen alles. Die Körperhaltung, in der er eingeschlafen war, hatte das behindert, sicherlich rührte der Albtraum zum Teil auch daher.
    Ninosh versuchte sich hochzustemmen. Tagelang hatten die Fesseln ihn davon abgehalten, sich selbständig zu bewegen, darum überraschte es ihn, dass seine Arme ihm überhaupt gehorchten.
    Mühsam kämpfte er, bis er saß. Der Schmerz war kaum erträglich, aber wie sollte es jemals besser werden, wenn er sich gar nicht mehr bewegte? Seine Muskeln und Gelenke würden versteifen und alles nur noch schlimmer machen. Er schaffte es sich zurechtzurücken, bis er aufrecht an einem Baumstamm lehnte. Es war still um ihn herum, abgesehen von den natürlichen Geräuschen des Waldes und dem Plätschern des Flusses. Geron hatte sich hingelegt, nachdem er ihn geweckt hatte, und schlief anscheinend schon wieder. Ninosh konnte wenig erkennen, der Himmel war zwar wolkenlos, doch der Mond zeigte sich nicht. Die Feuerglut war zu schwach, um die Ecke zu erhellen, in der Geron lag. Eine seltsame Laune des Schicksals, dass ausgerechnet er es war, der Ninosh vor dem unmittelbaren Tod gerettet hatte …
    Er döste vor sich hin, bis Geron sich bei Tagesanbruch regte, eine Weile umherwälzte – ein Albtraum, wie es schien – und schließlich abrupt hochschreckte.

    Geron brauchte einige Momente, bis er die Bilder von schreienden, brennenden Menschen in seinem Kopf zurückgedrängt hatte. Es war ein sinnloser Unfall gewesen. In der Kombüse hatte irgendetwas angefangen zu kokeln, alles ganz harmlos. Einer der jungen Soldaten, die mit zum Hauptstützpunkt reisten, um sich für einige Tage von den anstrengenden Dauerpatrouillen im Grenzgebiet zu erholen, hatte einen Eimer genommen und den Inhalt über das rauchende Etwas geschüttet. Geron hatte es direkt mitverfolgt und genauso wie der Soldat und vermutlich alle anderen geglaubt, in dem Eimer hätte sich Putzwasser befunden. Doch es musste etwas Ölhaltiges gewesen sein, denn es gab sofort eine heftige Stichflamme und der junge Mann stand lichterloh in Flammen. Schreiend war er über das Deck gelaufen, hatte sich in die Tibba gestürzt – und auf seinem Weg die Kleidung mehrerer Kameraden in Brand gesetzt, während die Kombüse in rasender Geschwindigkeit zu brennen begann und sich von dort unaufhaltsam ausweitete. Geron hatte bis zuletzt versucht, das Feuer zu löschen, denn er wusste, dass die Tibba zu reißend war und selbst gute Schwimmer kaum eine Überlebenschance hatten. Es war sinnlos gewesen. Er hatte nicht helfen können, und niemanden retten außer sich selbst. Sich selbst und …
    „Bereust du es?“, fragte Ninosh leise. Er beobachtete ihn ausdruckslos, sein Blick war erschütternd leer. Beklommen wurde Geron bewusst, was das bedeutete – Ninosh war jenseits der Angst angekommen. Er fürchtete keinen Schmerz, ihm war gleichgültig, was geschehen würde. War er zerbrochen? Es schien so, trotz dieser seltsamen Frage, auf die Geron in irgendeiner Form reagieren musste. Blaugraue Augen, in denen sich das Licht der aufgehenden Sonne spiegelte, waren starr auf ihn gerichtet.
    „Was meinst du?“, fragte er vorsichtig.
    „Dass du mich gerettet hast. Zwei Mal. Ich war es nicht wert. Bereust du es?“
    Geron schauderte, aber er wollte keine Schwäche zeigen.
    „Es muss viel geschehen, bevor ein Mensch das Recht zu leben verwirkt hat. Und noch sehr viel mehr, bevor man ihm ohne Not und der Kraft des Gesetzes das Leben nehmen darf. Ich glaube noch mehr an die Gesetzgebung als an Gott. Nur wenn unabhängige Menschen über Schuld oder Unschuld entscheiden, kann Ordnung und Gerechtigkeit herrschen. Du bist ein Mörder, wie du gestanden hast, das Ausmaß deiner Verbrechen kenne ich nicht. Ich will, dass du büßen musst, aber es soll auf die richtige Weise geschehen. Ein Kriegsgericht wird über dein Schicksal entscheiden, kein solch ungebildeter Mann wie ich.“
    „Du bist ein Bannerführer“, sagte Ninosh, noch immer mit dieser unbeteiligten Stimme. „In Vjalach werden nur Adlige mit einer solchen Verantwortung betraut.“
    „Euer König kauft sich seine Soldaten, da ist es nicht schwer, die eigenen Leute in hohe Positionen zu setzen. Nadisland kann sich diesen Luxus nicht leisten. Mittlerweile wird jeder Stallbursche und

Weitere Kostenlose Bücher