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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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Schweinehirte zum Truppenführer, sofern er älter als zwanzig und einigermaßen fähig ist. Ich kann nur schlecht lesen und wenig mehr als meinen Namen schreiben. Vor dem Krieg war ich Hufschmied.“
    Angriffslustig suchte er nach Anzeichen von Verachtung für seine geringe Herkunft, aber Ninosh schien ihn nicht einmal gehört zu haben, denn er lehnte mit geschlossenen Augen am Baumstamm und rührte sich für eine Weile nicht.
    Geron streifte inzwischen seine Hose über, die zwar immer noch feucht war, aber besser als nackt laufen zu müssen.
    Bei der kurzen Inspektion, was er außer seinem Leben hatte retten können, stieß er auf sein Messer, das ihn seit Beginn des Krieges begleitete und stets treue Dienste geleistet hatte; und auf die kleine Flasche mit dem Schmerzmittel. Geron hatte sie in die Tasche gesteckt, da er nach Ninosh hatte sehen wollen. Welch ein Glück, dass er sie nicht in den Fluten verloren hatte!
    Da Ninosh im Moment ruhig dasaß, beschloss er, ihm das Mittel erst gleich zu geben, wenn er mit ihm zusammen aufbrechen wollte. Es würde dem jungen Mann helfen, trotz seiner Verletzungen zu laufen. Da Geron nicht wusste, wie weit sie von jeglicher Zivilisation entfernt waren, mussten sie äußerst sparsam mit dem Trank umgehen.
    „Ich gehe mal ein Stück am Ufer entlang, vielleicht hat die Tibba etwas an Land gespült, das uns nützlich sein kann“, sagte er leise, tief zu Ninosh herabgebeugt. Der nickte stumm, ohne die Lider zu öffnen, man sah, wie erschöpft er war.
    Bevor ihn sein verfluchtes Mitleid schon wieder überwältigen konnte, wandte Geron sich rasch ab und marschierte flussaufwärts am Ufer entlang. Die Tibba floss sehr rasch und in der Nacht waren sie lange Zeit am Ast hängend fortgetrieben. Die Stelle, wo das Schiff gebrannt hatte, war sicherlich etliche Meilen entfernt. Was nicht bedeutete, dass es hier nirgends Treibgut geben konnte, falls das Schiff gesunken war. Höchst wahrscheinlich, alles in allem, denn ohne einen fähigen Steuermann war es sicherlich auf einen Felsen oder eine Sandbank aufgelaufen.
    Gerons größte Angst bewahrheitete sich, nachdem er kaum eine halbe Meile weit gekommen war: Zwischen zwei Felsen entdeckte er eine Leiche. Es war unmöglich, dorthin zu gelangen, ohne sein Leben zu riskieren, die Strömung war einfach viel zu stark. Ohne ein Seil zum Absichern wäre es Wahnsinn.
    Es war nicht der erste Tote, den Geron in diesem Krieg zurücklassen musste, den Elementen genauso ausgesetzt wie wilden Tieren. Es quälte ihn trotzdem. Er konnte nicht einmal erkennen, wer es gewesen war, lediglich die Kleidung verriet, dass der Mann zu seinen Leuten gehört haben musste.
    Geron sprach ein Gebet für den Toten. Auch wenn er seit Baris’ Gefangennahme und der Nachricht von dessen grausamer Ermordung im Gotatal den Glauben an Gott verloren hatte, die meisten Soldaten glaubten fest an eine gütige höhere Macht. Danach stakste er weiter. Ohne seine Stiefel kam er bloß langsam voran, aber diese waren viel zu nass gewesen, um ihm irgendetwas zu nutzen. Da er nichts hatte, um das Leder vor dem Verhärten zu bewahren, konnte er sie eigentlich auch sofort wegwerfen. Ein herber Verlust, über den er noch bitter weinen würde, da war er sich sicher. Seine Fußsohlen waren nicht mehr daran gewöhnt, mit Steinchen, Ästen und allen möglichen anderen spitzen Unannehmlichkeiten zurecht zu kommen. Nachdem er noch etwa eine weitere Meile gelaufen war, beschloss er umzukehren. Ninosh brauchte Hilfe. Und er wollte nicht länger auf seine Antworten warten.

    Obwohl Ninosh viel Übung darin besaß, sinnlos warten zu müssen, dass die Zeit verging, quälte er sich. Die Ungewissheit, ob Geron zurückkehren würde, trieb ihn halb in den Wahnsinn. Da half es wenig sich klar zu machen, dass der Mann die Hälfte seiner Kleidung zurückgelassen hatte. Wie schnell rutschte man aus und ertrank oder verletzte sich den Kopf an einem Stein!
    Als er endlich Schritte hörte, atmete er erleichtert auf.
    Geron wirkte sehr ernst, als er sich zu ihm niederhockte.
    „Wir werden heute nur ein oder zwei Stunden laufen und dann erst einmal Nahrung suchen und vielleicht ein, zwei Werkzeuge herstellen, wenn es irgendwie möglich ist. Ich habe etwas gegen die Schmerzen für dich, wir müssen es gut einteilen. Ich fürchte, wir sind verdammt weit entfernt von Hilfe egal welcher Art.“
    Ninosh beäugte die Flasche, die Geron ihm vor die Nase hielt.
    „Gibt es wieder Bedingungen?“, fragte er misstrauisch.

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