L(i)ebenswert (German Edition)
sich und schob ihn mitsamt dem Ast dorthin, wo ihm die Nacht am finstersten erschien, denn dort musste das Ufer sein. Es war ein anstrengender Kampf, den Geron für sich entschied: Sie erreichten festen Boden. Er zerrte Ninosh eine flache Böschung hoch, ließ ihn fallen, sobald er sie sicher glaubte und blieb erschöpft um Atem ringend liegen.
Sie waren dem Feuer entflohen, hatten das Wasser besiegt. Jetzt mussten sie bloß überleben …
Jemand zerrte ihm die nasse Kleidung vom Leib.
Nicht schon wieder …
Ninosh wollte die Hände abwehren, die ihn rücksichtslos hin- und herrollten, doch er konnte noch nicht einmal die Augen aufschlagen. Lediglich ein unwilliges Stöhnen drang über seine Lippen, ihm fehlte die Kraft zum Schreien.
„Halt still und beschwer dich nicht!“
Geron.
Nun ja, wer auch sonst? Ninosh versuchte die Prozedur still zu ertragen, doch nach all den Tagen voller Schmerz war er zermürbt. Er krümmte sich unwillkürlich, als Geron ihn erst zum Sitzen hochzwang, ihm den Stoff mehr entriss als auszog und ihn dann einfach fallen ließ. Der Aufprall, selbst aus dieser geringen Höhe, erzeugte ein hässliches Knacken im Bereich der gebrochenen Rippen.
Herr, hättest du mich nicht endlich sterben lassen können?, dachte er, als die Schmerzwelle abebbte und er wieder halbwegs bei Bewusstsein war. Leben zu müssen konnte eine unerträgliche Last sein, das stellte er nicht zum ersten Mal fest.
Geron beachtete ihn nicht weiter, sobald er mit ihm fertig war. Nackt und frierend blieb Ninosh auf der weniger verletzten Seite liegen, Arme und Beine möglichst dicht an den Leib gezogen. Die Nachtluft war warm, merkwürdig schwül. Im Moment gab es keine Sturmwinde mehr, aber das nächste Hitzegewitter lauerte bestimmt bereits in der Nähe. Die Wärme hatte sie wohl davor bewahrt, zu erfrieren. Zumindest ein Gutes hatte die Wende des Schicksals gehabt: Durst verspürte er keinen mehr.
Ninosh schlief schon fast, als erneut der Geruch nach Rauch in seine Nase drang. Sofort riss er die Augen auf, die Angst vor der entfesselten Urgewalt, der er gerade erst entkommen war, trieb ihn in die Höhe.
„Bleib liegen oder ich binde dich fest“, brummte Geron. Der Bannerführer hatte das Feuer entzündet, ein niedriges, von Steinen begrenztes Feuer, von dem Licht und Wärme statt Gefahr ausging.
Erleichtert schaute Ninosh zu, wie Geron das Lagerfeuer hochfütterte und anschließend die nassen Sachen über Äste und Sträucher ausbreitete. Die muskulösen, dunkel behaarten Beine waren ein seltsam beruhigender Anblick. Aus irgendeinem Grund erschien ihm Geron weniger gefährlich als zuvor, nun, da sie beide nackt waren. Vielleicht war das die falsche Denkweise, schließlich wusste er genau, dass der Mann Gefallen an seinem Körper fand.
Deswegen hat er mich garantiert nicht gerettet.
Aber warum dann? Ohne ihn hätte Geron höhere Überlebenschancen im Kampf gegen den Fluss gehabt.
Ninosh schloss die schweren Lider. Vermutlich war es nichts als eine weitere Regung von Menschlichkeit gewesen, die Geron hatte handeln lassen. Nichts, worüber er sich beschweren würde. Zumindest wenn er sich entscheiden sollte, über seine Rettung froh zu sein.
Geron musterte die selbst im Schlaf wenig entspannte Gestalt seines Schicksalsgefährten. Er war gezeichnet von der Mühsal der vergangenen Tage und wirkte durch den Bartschatten älter. Die Blutergüsse schillerten in allen Farben auf seinem Körper, auch die in seinem Gesicht, die Krazon ihm beschert hatte, waren noch sichtbar, trotz der nassen Haarsträhnen, die ihm auf Wangen und Stirn klebten. Ninosh war auf der Seite eingerollt, den Kopf auf den Armen gebettet. Seine Atmung war mühsam, er müsste wieder höher und auf den Rücken gelagert werden.
Attraktiv sah Ninosh mit all den schwarz-blau-grünen Flecken am Leib gewiss nicht aus. Eher wie ein Katze, die man in einen Sack gesteckt, halbtot geprügelt und anschließend ertränkt hatte. Dennoch hatte er etwas an sich, das Geron berührte. Dieses Etwas war mehr als bloß Mitleid und körperliche Begierde, das wusste er sicher. Wie viel mehr, und was genau, wollte er eigentlich nicht herausfinden …
Hartes Rütteln an der Schulter weckte Ninosh aus einem Albtraum, in dem er abwechselnd verbrannt und erstickt war, um anschließend zu ertrinken. Es war noch mitten in der Nacht, das Feuer allerdings fast heruntergebrannt. Sein Kampf ums Überleben hatte ihm nicht gut getan, musste er feststellen: Jeder Bruch, jede
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