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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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umzubringen.
    „Es spielt keine Rolle, ob du an Gott glaubst. Dein Leben ist ein Geschenk! Deine Mutter hat dich unter Mühen in die Welt gebracht, dich genährt und mit Liebe großgezogen, wie du sagtest. Du würdest ihr Andenken beschmutzen, wenn du dieses Geschenk nun wegwirfst. Sie hat dich geliebt, gleichgültig wie du aussiehst. Eben weil du nicht dein Vater bist, weil du mehr bist als bloß ein Gesicht, das einem schlechten Mann ähnelt. Ehre ihr Erbe und die Fürsorge, die sie dir gegeben hat. Ich für meinen Teil glaube fest daran, dass Gott Pläne mit dir haben wird und dich deshalb geformt hat, wie bist.“
    „Er hat mich nach diesen Worten aufs Bett geschubst und mir mindestens eine Stunde lang bewiesen, dass mein Gesicht ihm völlig egal war, im Gegensatz zu anderen Körperteilen. Aber wann immer ich danach versucht war, mich mit Kalk zu verätzen oder vom Dach des Klosters in den Tod zu springen, waren es diese Worte, die mich aufgehalten haben.“
    Ninosh seufzte bitter. „Vielleicht, weil mir sowieso der Mut dazu fehlte und ich dringend eine Ausrede brauchte.“
    „Du bist nicht feige“, erwiderte Geron mit Nachdruck, „und auch nicht schwach. Wer trotz all seiner Angst nicht den leichten Ausweg nimmt, ist stark und mutig.“
    Diese Worte nahm Ninosh mit einem stillen Lächeln hin. Ob es Feigheit oder Mut oder vielleicht auch Dummheit war, mit einem solch gefährlichen äußeren Makel wie dem seinen weiterzuleben, darüber hatte er jahrelang ergebnislos in durchwachten Nächten gegrübelt.
    „Ich hörte noch weniger als zuvor von dem, was draußen in der Welt geschah. Selbst die Geschehnisse im Gotatal erfuhr ich erst, als ich Tanivar beinahe attackiert hätte – ich war verzweifelt, musste wissen, was los war, denn man hatte mir nun sogar verboten in den Garten zu gehen. Danach erhielt ich endlich die Erlaubnis, das Kloster zu verlassen. Immerhin konnten sie sich nicht mehr darauf berufen, dass ich zu jung sei, um allein zu überleben, da ich bereits neunzehn Jahre alt war. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Vor den fremden Ländern hatte ich Angst, weil ich nicht wusste, ob man da dieselbe Sprache spricht und wie groß der Hass auf König Mannik ist. Schließlich bin ich in einem vjalachanischen Fischerdorf gelandet, das so weit von der Hauptstadt entfernt war, dass niemand mich erkannte. Das Bildnis meines Vaters auf den Münzen war zu stark stilisiert, um mich zu verraten. Ich konnte dort leben und da ich das Fischerhandwerk in Grundzügen gelernt hatte, auch für meinen Unterhalt arbeiten. Wieder war ich fern vom Krieg und dem, was meine Blutsverwandten taten, doch diesmal wurde ich respektiert und konnte Freunde gewinnen. Bis eines Tages ein Trupp Söldner in das Dorf kam, um junge Männer zu rekrutieren.“
    Er näherte sich den schmerzlichen Erinnerungen. Es war sinnlos, noch länger drumherum zu reden und Nichtigkeiten zu erzählen, trotzdem musste Ninosh kurz innehalten, um Kraft zu sammeln.
    „Sie haben … Oh Gott.“ Er kämpfte die Tränen nieder, bevor er neu ansetzte: „Sie haben uns wie Vieh vor den Hütten zusammengetrieben. Wer ausgesucht wurde und nicht freiwillig mitkam, für den wurde einer der Alten, eine Frau oder ein Kind getötet, wahllos, wer ihnen gerade in die Hände fiel; grausam und methodisch zugleich, denn ansonsten haben sie niemanden angerührt. Es wurde schnell klar, dass jeder Widerstand schreckliche Folgen hatte, darum sind wir jungen Männer freiwillig mitgegangen.
    Zunächst war ich einer von vielen, niemand hatte mich beachtet. Sie trieben uns durch die Lande, die Ankündigung, dass für jeden Flüchtling einer der Kameraden umgebracht werden würde, hat uns brav mitlaufen lassen. Unterwegs wurden wir an den Waffen ausgebildet, und dabei geschah es dann: Der Hauptmann erkannte mich. Er sagte nichts laut, zerrte mich lediglich in sein Zelt und fragte, ob sein Verdacht stimme. Leugnen war zwecklos …
    Dadurch erfuhr ich erst, dass ein hohes Kopfgeld auf mich ausgesetzt war. Darum setzte der Hauptmann mich auf ein Pferd und brachte mich selbst zum Palast meines Vaters – seine Truppe war ihm gleichgültig, er hat sie für die Aussicht auf die Belohnung einfach zurückgelassen. Ob er sie erhalten hat, weiß ich nicht.“
    Ninosh blickte ins Leere, als er sich endgültig seinen Erinnerungen ergab, die er so gerne vergessen hätte:

    Diener, Wächter, Knechte, Mägde – gleichgültig, wo Ninosh vorbeikam, überall sanken die Menschen auf die Knie

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