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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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teuflische Brut.“
    „All diese Lügenmärchen sorgen für Unruhe in unserem eigenen Volk, sodass es seither immer wieder Aufstände gab, die ich energisch niederschlagen muss.“ Der König betrachtete Ninosh ernst und ruhig. „Es war schon früh absehbar gewesen, dass etwas in dieser Art geschehen würde, wobei ich das Ausmaß weit unterschätzt habe. Nur aus diesem Grund wollte ich dich zu mir holen, denn dein Äußeres verrät zu deutlich, wer du bist und bringt dich darum in Gefahr.“
    „Es ging also nicht darum, einen weiteren potentiellen Aufrührer unter Eure Kontrolle zu bringen?“, fragte Ninosh leise. Seine Brüder reagierten unruhig auf diese Unverfrorenheit, während König Mannik lediglich schmal lächelte.
    „Ich leugne nicht, dass dies ebenfalls ein Grund war“, erwiderte er mit deutlich kühlerem Tonfall als zuvor. „Du warst damals in einem gefährlichen Alter – zu jung, um aktiv in der Politik mitzuwirken, alt genug für Attentate jeder Art. Dazu in eben jener Lebensphase, in der sich Glaube und Charakter eines Menschen am stärksten prägen lassen. In den Händen meiner Feinde hättest du in eine tödliche Waffe gewandelt werden können.“
    „Was ist mit Gotatal?“, platzte Ninosh plötzlich heraus. „Ist das auch ein Lügenmärchen? Propaganda der Feinde?“ Er hoffte es inständig. Gotatal war der Inbegriff für die Grausamkeit des Königs geworden. Er sah, wie seine Brüder bedeutsame Blicke tauschten, während sein Vater schwieg. Caval ergriff schließlich wieder das Wort:
    „Gotatal ist kein Märchen. Es war ein Vergeltungsschlag für das Attentat auf unseren Vater.“
    „Ich habe es befohlen, Ninosh.“ Mannik sprach ohne besondere Betonung, er wirkte nicht, als würde ihn das Thema berühren. „Ich habe befohlen, jeden einzelnen Kriegsgefangenen aus ganz Vjalach in dieses Tal zu treiben und dafür zu sorgen, dass niemand lebendig entkommt. Meine fünf Söhne haben diesen Befehl ausgeführt.“
    „Die Geschichten über Gotatal sind ausnahmsweise harmloser als die Wirklichkeit“, sagte Vanlad ruhig.
    „Tut es … Tut es euch nicht leid?“ Ninosh würgte hilflos an seinem Entsetzen.
    „Nein, warum auch? Es war notwendig, Bruder, so ist der Krieg nun einmal. Die Zeiten, in denen sich zwei Hundertschaften mit gezücktem Schwert gegenüberstanden sind lange vorbei. Heutzutage entscheiden nicht Mut und Kampfkunst über den Sieg. Ein Krieg wird heute nur noch in den Köpfen der Menschen gewonnen. Taktik, List, Gerüchte, Spionage, Terror, Schrecken – das sind die wichtigsten Waffen. Der gezielte Mord an Frauen und Kindern der flüchtigen Barone sowie ausländischer Soldaten war das notwendige Opfer. Seither zittern unsere Feinde, sobald sie an uns denken.“
    Ninosh schaffte es irgendwie, seinem leidenschaftslos sprechenden Vater zuzunicken. Zu tun, als würde er es verstehen. Vielleicht sogar gutheißen.
    „Füllt eure Trinkbecher, meine Söhne!“, befahl der König unvermittelt. „Wir wollen auf die Heimkehr unseres Jüngsten anstoßen!“
    Der Weinkrug stand bei Ninosh, es war kein Diener in der Nähe. Ihm war der schwere Rotwein zu stark, darum war sein eigener Becher noch voll. Ohne nachzudenken, was er tun wollte, ergriff er den Krug und erhob sich.
    „Lasst mich euch einschenken“, murmelte er. Wie von selbst glitt das Beutelchen in seine Hand, das er zuvor eingesteckt hatte, sein Inhalt verteilte sich im Wein, ohne dass es irgendjemandem gewahr wurde. Ninosh füllte allen die Becher, seinem Vater als letzten.
    „Ich bin froh, dass ich dich vor meinem Tod noch sehen durfte“, flüsterte der alte Mann und strich über Ninoshs Wange. „Es tut mir von Herzen leid, dass ich deiner Mutter damals erlaubt hatte, dich mitzunehmen. Ein Fehler, den ich zwanzig Jahre lang bereut habe.“
    Ninosh duldete die Berührung dieses Fremden, von dem er keinerlei persönliche Erinnerung besaß. Genauso wie er die Lüge duldete, denn sein Vater hätte ihn vor dem Krieg jederzeit zu sich rufen können. Er stellte den leeren Krug ab und kehrte an seinen Platz zurück.
    „Auf Ninosh!“, rief Caval fröhlich. Sie prosteten einander zu, tranken, wetteiferten miteinander, wer Ninosh was als erstes zeigen durfte.
    Ninosh wartete derweil geduldig. Das Pulver, das er hastig eingesteckt hatte, als die Söldner ihn aus dem Fischerdorf geholt hatten, war kein Gift im eigentlichen Sinne. Es war ein leichtes Schmerzmittel, das allerdings die Wirkung von Alkohol so massiv verstärkte, dass

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