L(i)ebenswert (German Edition)
nahm einen harten, schnellen Rhythmus auf, der sie beide innerhalb kürzester Zeit glückselig über die Klippen taumeln ließ.
Geron lag schlaflos im Bett. Ein Traum hatte ihn geweckt. Ein Traum von Baris, der ihn bat, ihn gehen zu lassen. Geron hatte gefleht und gebettelt, er wollte ihn nicht verlieren … Zuletzt hatte Baris ihn traurig angesehen und war einfach fortgegangen.
Ich konnte mich nie von ihm verabschieden, dachte er wehmütig. Das war eine Wunde, die wohl niemals gänzlich verheilen würde. Sie waren im Gefecht auseinandergetrieben worden, und als es vorbei war, fand Geron sich schwer verletzt im Lazarett wieder, während Baris in Kriegsgefangenschaft verschleppt worden war, aus der er niemals mehr zurückkehren sollte. Über drei Jahre war das nun her.
Vielleicht sollte ich ihn tatsächlich endlich gehen lassen …
Baris hatte ihm durch die Schrecken des Krieges geholfen. Ihm beigestanden, als Geron von der Vernichtung seines Heimatdorfes erfuhr. Er war ein seltsamer Mann gewesen, ein Dichter, der seinen eigenen Kummer in fröhliche, melancholische oder auch derbe Verse zu fassen verstand. Ein Sänger, der die Moral der Truppe allein mit seiner Stimme hochhalten konnte. Jemand, der über einen verletzten Vogel genauso weinte wie über einen verlorenen Kameraden. Sein Lachen würde auf ewig in Gerons Herzen verbleiben.
Baris war tot, sie konnten kein gemeinsames Leben mehr teilen. Ninosh hingegen lag warm und lebendig in seinen Armen. Ninosh, der an Leib und Seele beinahe zerschmettert wurde. Der bereits vor zehn Jahren alles und jeden verloren hatte und seitdem mit Demütigungen, Erniedrigungen, Gefangenschaft und Willkür jeder Art bestraft wurde. Der zum Mörder werden musste, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Dem niemand gestattet hatte zu sterben, obwohl er es wollte. Ein Wunder, dass er überhaupt fähig und willens gewesen war, sich ihm zuzuwenden. Ihm zu vertrauen. Sich ihm hinzugeben. Für wie lange, da wagte Geron nicht auf irgendetwas zu hoffen. Möglicherweise nur für heute Nacht. Oder ein paar Tage, Wochen, Monate …
Egal was Ninosh bereit war ihm zu schenken, Geron wollte es gerne annehmen. Dieser Mann hatte ihm gezeigt, dass es Zeit für ihn war, endlich zu heilen. Irgendwann wieder eine lebendige Liebe in sein Herz einzulassen.
Wenn es in meiner Macht stehen sollte, will ich an deiner Seite bleiben, bis auch du heilen kannst. An Körper und Seele. Und noch länger, falls du mich lässt.
Er drückte einen Kuss in Ninoshs Haar, dann schmiegte er sich noch dichter an ihn heran und schloss die Augen. Ein Leben an seiner Seite, ja, das wäre gewiss lebenswert …
Epilog
Ein Jahr später …
„Hey!“ Geron prustete empört, als Ninosh ihm lachend einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf goss.
„Wer so verschwitzt ist wie du, sollte gelegentlich ein Bad genießen“, rief Ninosh und nahm hastig Reißaus, als sein Liebster mit finsterer Miene auf ihn zustampfte. Weit kam er nicht: Geron packte ihn, warf ihn sich über die Schultern, schleppte ihn zur Tibba und ließ ihn in die eisigen Fluten fallen. Glücklicherweise war der Fluss hier in der Nähe seiner Mündung äußerst friedlich und behäbig. Sie waren wochenlang ziellos durch die Lande geirrt, hatten manches Mal um ihr Leben kämpfen müssen, wenn ein Reisender Ninoshs Gesicht erkannte, oder die Wildnis sich von der rauen Seite gezeigt hatte. Schließlich hatten sie einen Ort gefunden, der weit genug von Vjalach entfernt war, um sich einigermaßen sicher zu fühlen, an der Südküste von Nadisland. Von dem Geld, das Geron als Lohn für seine treuen Soldatendienste erhalten hatte, konnten sie sich ein kleines Stück Land unweit vom Ufer der Tibba pachten, wo sie mit Ninoshs Fähigkeiten als Fischer, ein wenig Gemüseanbau und Gerons Schmiedekunst ein anständiges Leben führen konnten. Sie fühlten sich diesem Fluss beide verbunden, fürchteten und liebten ihn zugleich.
Ihr Grundstückseigner besaß eine große Pferdezucht und auch in der Nachbarschaft gab es einige Gestüte, sodass Geron die Arbeit nicht ausging. Ninosh half ihm in der Schmiede, wenn er konnte; seine Rippenbrüche waren nie anständig verheilt und bereiteten ihm oft Schmerzen, wenn er sich zu sehr anstrengte oder ein Sturm heranzog. Allein aufs Meer hinauszurudern und an Fisch zu fangen, was sie für den täglichen Bedarf brauchten, tat ihm gut. Es half, sich von den Erinnerungen an Blut, Feuer und Todesangst abzulenken, die ihn wohl für
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