Lieber Dylan

Titel: Lieber Dylan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Curham

Vom Netzwerk:

komme mir hier unten, so weit weg, so nutzlos vor. Lass mich einfach wissen, was ich tun soll. Und vergiss nicht, mit deiner Mutter zu reden …
    Bis bald, hoffe ich.
    Alles Liebe,
    Nan xxx

    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Schreckliche Nachrichten
    Datum: Montag, 21. August, 11:14

    Hi Nan,
    du wirst nie im Leben glauben, was passiert ist. Mein Magen ist verkrampft, und mein Gesicht brennt – aber aus Wut, nicht aus Verlegenheit. Der Ton-Zerstörer ist auf Kaution freigelassen worden! Die Polizei beschuldigt ihn der schweren Körperverletzung, aber bis zur Gerichtsverhandlung ist er auf freien Fuß gesetzt. Mum ist hysterisch geworden, als sie davon erfahren hat. Sie sagt, wir werden nie mehr zurück nach Hause können, und Michaela weint ständig, weil sie ihre Tiggers haben will. In der Eile, wegzukommen, waren wir ja nicht in der Lage, etwas von unseren Sachen mitzunehmen. Meine Mum hat Angst, wieder zur Arbeit zu gehen, weil der Ton-Zerstörer dort auftauchen könnte, also werden wir bald auch kein Geld mehr haben. Die Polizei hat uns erzählt, dass die Kautionsauflagen dem Ton-Zerstörer verbieten, sich dem Haus oder uns zu nähern, und er muss bei seiner Mutter in Mile End bleiben, aber das wird er auf gar keinen Fall tun. Er wird total durchknallen, weil Mum ihn bei der Polizei angezeigt hat, ich weiß, das wird er. Ich wollte dich heute anrufen und darüber reden, aber ich habe mich nicht getraut, Mum zu fragen. Sie war so böse auf mich, weil ich dir maile, dass sie mir auf keinen Fall erlauben wird, ihr Handy zu benutzen, um dich anzurufen. Ich glaube auch nicht, dass sie es gern hätte, wenn du anrufen würdest – sie ist zu fertig, um klar zu denken. Sie hat mir allerdings erlaubt, Jamie anzurufen, also konnte ich ihm erklären, was passiert ist, und dass wir uns verstecken mussten. Verstecken, das klingt so aufregend, stimmt’s? Aber in Wahrheit ist es überhaupt nicht aufregend. Es ist beängstigend und langweilig, und in diesem Haus stinkt es nach Desinfektionsmittel und gekochtem Gemüse. Es ist, als wäre man im Krankenhaus oder im Gefängnis, und in der Nacht hört man all diese seltsamen Geräusche – Türen, die zugeschlagen werden, Leute, die man nicht kennt und die denFlur entlanglaufen, Babys, die man nicht kennt und die schreien –, ich hasse es. Es ist nicht fair. Warum sind wir diejenigen, die im Gefängnis enden, während der Ton-Zerstörer frei herumlaufen darf? Mum hat sogar schon gesagt, sie würde die Anzeige zurückziehen. Ich bin aber total wütend geworden, als sie das gesagt hat. Warum soll er mit dem, was er getan hat, davonkommen? Warum soll er Frauen und Kindern wehtun dürfen? Ich wünschte, mein Dad wäre noch am Leben, dann wäre das alles nicht passiert. Ich habe solche Angst. Ich habe Mum nichts davon gesagt, denn ich will versuchen, sie zu stärken, aber eine Stimme in meinem Kopf stellt immer wieder dieselbe Frage: Was, wenn sie ihn gehen lassen? Was passiert dann mit uns? Wie können wir uns je von ihm befreien?
    Jamie war am Telefon total besorgt und hat gesagt, wenn ich einen Ort brauche, an dem ich wohnen kann, soll ich jederzeit zu ihm kommen. Es ist so schön zu wissen, dass ich euch beide habe und ihr euch um mich sorgt. Ich weiß nicht, was passieren wird, aber, Nan, ich verspreche dir, ich halte dich auf dem Laufenden, und wenn ich die Chance bekomme, rufe ich dich an, das verspreche ich dir.
    Alles Liebe,
    Deine Mailfreundin im Gefängnis
    Georgie xxx

    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Re: Schreckliche Nachrichten
    Datum: Montag, 21. August, 13:24

    Das ist ja skandalös! Wie kann denn dieses Monster frei auf der Straße herumlaufen, während ihr euch wie Verbrecher verstecken müsst? Versuche, stark zu bleiben, Georgie, und vergiss nicht, dassdu immer jemanden hast, zu dem du kommen kannst, wenn du ihn brauchst. Ich verstehe, dass du deine Mutter im Moment nicht verärgern willst, aber bitte behalte meine Einladung in Erinnerung, und wenn du der Meinung bist, es könnte helfen, dann sag ihr bitte, dass sie mich anrufen soll. Erinnere dich an das, was ich dir erzählt habe – über das Leben, das wie ein Buch ist, und die üblen Kapitel, die nicht für immer halten. Sie kommen immer irgendwann zu einem Ende, und oft wartet auf der nächsten Seite etwas wirklich Wundervolles auf dich. Bitte lass mich wissen, wenn es irgendetwas gibt, das ich für dich tun kann – für euch