Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
schnuppere, kein Brandgeruch. Das ist ein morgendlicher Nebelschleier, der über die Scheune wabert. Nur Nebel, kein Rauch!
«Ja dann brennt’s eben im Stall!» Ich sprinte zurück zum Südfenster, die Aussicht hat sich nicht verändert. Kein Rauch, kein Feuer, nicht mal Nebel. «Ja, dann kann es nur noch das Wohnhaus sein, was brennt! Es brennt bei UNS !»
Zwi-wi-wi-wi … Zwi-wi-wi …
«So rennen wir doch um Himmels willen endlich mal um unser Leben!», kräht der kleine Schweizer in hellster Aufregung, aber ich werde plötzlich ganz cool. Ich falle nicht mehr auf ihn rein, auf seine Hysterie.
«Es brennt nicht», stelle ich laut und deutlich klar.
«Warum soll’s brennen? Jetzt geh halt ran, Diiiita!», kommt es von Sonja. Ja, die Frau hat die Ruhe weg, das muss ich wirklich mal sagen, die legendäre österreichische Gleichmut: Unser Hof brennt lichterloh, und sie schlürft in aller Ruhe Kaffee und … Ach so, nein, es brennt ja eben
nicht
– der macht mich noch wahnsinnig, der kleine Schweizer.
Da meldet er sich schon wieder: «Wahrscheinlich ist etwas mit den Tieren, die Esel …»
Zwi-wi-wi-wi-wi-wi-wi! «… die Esel sind ausgebüxt, in Panik auf die Bundestraße galoppiert und haben dort einen vollbeladenen Sattelschlepper, der ihnen ausweichen wollte, quasi in einem unfreiwilligen Elch- … äh … Eselstest zum Kippen gebracht. Der Anhänger hat grad noch die entgegenkommende Radsport-Nationalmannschaft zerrieben und … und … Oder die Schafe … genau, die Schafe – ein Wolfsrudel ist von Polen herübergekommen und ist ins Gehege eingefallen und hat einen Schafsgenozid angerichtet, und jetzt sind sie alle mausetot, die Schafe! Alle tot, außer einem ganz armen, süßen kleinen Lämmchen, das jetzt traumatisiert nach seiner Mami blökt, aber leider liegt die ja im eigenen Blut und keiner reagiert auf das Geschrei vom Lämmchen, nur der Mann, der gegenüber der Weide wohnt, hat es gehört, und jetzt ruft der an, um zu melden, dass ein Wolfsrudel aus Polen herübergekommen sei und in das Gehege eingefallen wäre und einen Schafsgenozid …!»
Ich drücke eines der Dachfenster nach oben wie ein U-Boot-Kapitän seine Turmluke und spähe in die Runde. Die Schafe liegen ruhig auf der Weide unter mir, warm eingehüllt in ihre vom Reif weiß leuchtenden Pelze, und rühren sich nicht. Kein Mucks, kein Blöken, keine Bewegung. Die Wölfe scheinen noch nicht angegriffen zu haben. Oder es ist schon vorbei, sie haben reinen Tisch gemacht, die Wölfe. Diese unheimliche Stille …
Zwi-wi-wi-wi … Zwi-wi-wi …
Totenstille auf der Weide.
«Sonja, die Schafe rühren sich nicht», stelle ich alarmiert fest.
«Ein sicheres Zeichen, dass sie tot sind», kombiniert der kleine Schweizer.
«Was sollen sie denn deiner Meinung nach tun?», fragt Sonja verblüfft. «Schafwandeln?» Der Spott in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Sie ist inzwischen wirklich zur Bäuerin geworden. Sie hat die Schulbank gedrückt, noch einmal, mit heißen Ende vierzig, und ein Diplom gemacht, auf dem deutlich und staatlich anerkannt «Landwirtin» steht. Sonja stellt den Kaffee neben sich auf den kleinen Servierwagen, der ihr als Nachttisch dient.
«Dann sind eben doch die Esel auf der Straße – oder die beiden Pferde», grenzt der kleine Schweizer die noch verbleibenden Katastrophen ein. Ich hasple wieder zum Ostfenster. Die vier Esel haben den Stall schon verlassen und zupfen träge das süße, zwischen den Katzenkopf-Pflastersteinen wuchernde Gras.
«Möchtest du nicht», beginnt Sonja – Zwi-wi-wi-wi … Zwi-wi-wi … – «abheben?»
Ich lehne mich weit aus dem Fenster, um einen Blick ins Innere des Stalls zu erhaschen. Die offenen Türen sind dunkle Löcher, ich kann nicht ausmachen, ob die Pferde noch drinnen sind, kann also nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
ausschließen
, dass sie auf der Bundesstraße einen Laster umgeworfen haben.
«Drum bräuchten wir im Stall eben so eine Infrarot-Überwachungskamera, dann hätten wir jetzt zuverlässig gesicherte Informationen!», doziert der kleine Schweizer.
Zwi-wi-wi …
«Moooa?» Sonja hat sich den Hörer zwischen Hals und Schulter geklemmt, während sie mit akrobatischem Geschick ihre langen Beine in die Jeans versenkt. Ich kann das unheilvolle Gewispere einer männlichen Stimme vernehmen.
«Ja, gut», macht Sonja. «Nein, nein, nein, das ist kein Problem … mhm … gut, mach ich … ja, der ist da.»
«Nein, ich bin schon
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