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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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geht doch um das, was dir passiert ist. Also?»
    «Nüüt isch mir passiert, aber bei dir schynt’s, isch etwas nicht ganz in Ornig. Was isch dir passiert?» Pause. «Du kannst es mir ruhig verzellen, ich habe Zeit.» Seine Stimme ist jetzt ganz tief und ruhig und einladend. Jakob wäre auch ein guter Therapeut, wenn er jetzt nicht selber dringend einen brauchen würde.
    «Nein, wirklich Jakob, im Ernst, lass uns jetzt über das reden, was dir passiert ist, bei mir ist alles in Ordnung.»
    «Würkli?»
    «Ja, wirklich.»
    «Ehrli?»
    «Ja, wirklich und ehrlich. Ich schwöre, bei mir ist alles in Ordnung.»
    «Da bin ich jetzt aber froh, dass du das seisch. Bei mir nämlich au.»
    «Wirklich alles, Jakob?»
    «Ja, würkli.»
    «Ehrlich?»
    «Ja, würkli ehrli, alles.» Jakob kichert wieder so seltsam traumahaft in sich hinein. «Aber irgendwie tönsch du eben doch komisch … Du Dieter, ich hab dich doch nicht öppe geweckt, oder?»
    «Neineinein, überhaupt nicht, wir sind schon lange auf», versichere ich. «Aber Jakob, mir kommt vor,
du
klingst selber irgendwie komisch.»
    «Ja, das könnte vilicht da dran liegen, dass ich ein bizzeli müde bin, weisch du.»
    Aha, denke ich, posttraumatische Schlafstörungen …
    «Aha», sage ich, «du hast schlecht geschlafen …»
    «Was heißt schlächt: Keis Aug hab ich zugetan.»
    «Das ist nicht gut, Jakob, das ist gar nicht gut.»
    «Es wäre aber noch vill weniger gut gsy, wenn ich gschlafe hätte.»
    «Wegen der Albträume?»
    «Ja, das wäre wohl en Albtraum worde, wenn ich igschlafe wär, zmizt unterm Fahren.»
    «Du bist gefahren?»
    «Di ganzi Nacht, ja.»
    Jetzt verstehe ich: Jakob hat einen Nachtdienst hinter sich!
    Jakob ist nämlich im Hauptberuf Busfahrer, den Hof betreibt er, wie die meisten in den Voralpen, als kleines Nebengewerbe. Schon sein Vater hatte noch zu Lebzeiten den Hof über die Jahre sanft «heruntergefahren», hatte das meiste Land Stück für Stück verpachtet und die eigenen Kühe eine nach der anderen verkauft. Auf den restlichen Wiesen macht Jakob jetzt Heu und lässt noch einige Rinder weiden, die ihm die Bauern vom Tal im Frühjahr bringen zum Übersommern. Jakob liebt seinen Hof, hält mit viel handwerklichem Geschick alles tipptopp in Schuss, schlägt im eigenen Waldstück auf der Bergkuppe eigenhändig die Balken, die er zum Ausbessern oder Erweitern der Scheune braucht, und richtet sie zu, exakt auf den Millimeter, so wie er sie braucht, mit Hilfe seines selbst konstruierten mobilen Sägewerks.
    Auch sein landwirtschaftliches Mehrzweckfahrzeug ist eine typische Eigenkonstruktion à la Jakob: eine Mischung aus Pick-up, Pistenfahrzeug und tiefer gelegtem Traktor. Es sieht extrem nach Abenteuer aus, als hätte es in kühnem Sprung die Leinwand eines
Mad-Max
-Films durchbrochen und wäre ins echte Universum gesprungen. Nur die Lackierung verrät, dass es sich keineswegs um eine anarchische Endzeit-Kampfmaschine handelt: Statt in Wüstenrostfarbe oder in Brutalschwarz leuchtet es in fröhlichem Froschgrün. Und es ist höchst amtlich als landwirtschaftliches Nutzfahrzeug zugelassen: Von den Sachverständigen der gestrengen Schweizerischen Verkehrsfahrzeugszulassungsbehörde war es erst mit fassungslosem Staunen, dann mit rasant wachsender Bewunderung auf Herz und Nieren geprüft und dann ganz offiziell für tauglich befunden worden. Stempel, Zulassung, Gratulation dem Konstrukteur!
    Unkaputtbar ist diese landwirtschaftliche Allzweckwaffe, unumkippbar auch an den steilsten Hängen. Ladefläche, Heck- und Frontzapfwelle, Seilwinde, Fronthubwerk, alles maßgeschneidert für Jakobs Bedürfnisse, jedes Detail durchdacht und mit Erfindergeist und konstruktivem Können umgesetzt. Und alles, jede Schraube, jedes Blech, jeder Kabelzug, alles bis ins Letzte ist für die Ewigkeit konzipiert. Jakobs Motto: «Lieber ein wenig mehr als nötig, dann hält’s!» In der Praxis heißt das: Wenn ein Bolzen nach Adam Riese, sagen wir, drei Tonnen Druck aushalten muss, rechnet Jakob mit einer Spitzenbelastung von sechs Tonnen: «Man weiß ja nie, was kommt, oder, wenn da plötzli unverhofft ein Schlag auf den Bolzen chlöpft oder so.» Und weil er von sechs Tonnen ausgeht, baut er zur Sicherheit einen Zwölf-Tonnen-Bolzen ein, oder noch besser, einen Achtzehn-Tonnen-Bolzen: «Damit wir noch ein wenig Resärve haben, nach oben.» So wird sein Gerät wohl auch noch seinen Ururenkeln zuverlässig dienen. Und, vorausgesetzt, Jakobs Nachfahren werden es

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