Lieber Feind
Fischerei-Fliegen heraus und präsentierte Betsy und mir galant einen „silbernen Doktor“ und einen „Jack Scott“, damit wir Hutnadeln daraus machen lassen. Dann ging das Gespräch auf Sport in den schottischen Mooren über, und er erzählte uns, wie er sich einmal verirrt hatte und die Nacht in der Heide zubrachte. Es besteht kein Zweifel: Sandys Herz ist im Hochland.
Ich fürchte, Betsy und ich haben ihm Unrecht getan. Es fällt uns zwar schwer, die interessante Idee aufzugeben, aber er hat vielleicht trotz allem kein Verbrechen begangen. Wir glauben nun aber, daß er Unglück in der Liebe hatte.
Es ist wirklich scheußlich von mir, mich über den armen Sandy lustig zu machen, denn trotz seiner düsteren Einstellung ist er eine pathetische Figur. Stell Dir nur vor, daß man nach einer sorgenschweren Runde von Visiten nach Hause kommt und ein einsames Abendessen in jenem schrecklichen Eßzimmer einnehmen muß! Meinst Du, es würde ihn ein wenig aufheitern, wenn ich ihm eine Gruppe von Künstlern schicken würde, die rings um die Wand einen Fries von Häschen malen?
Wie immer viel Liebes
Sallie.
Liebe Judy!
Kommt Ihr denn überhaupt nicht nach New York zurück? Bitte, beeilt Euch! Ich brauche einen neuen Hut, und mein Herz verlangt, daß er auf der Fifth-Avenue und nicht in der Wasserstraße gekauft wird. Mrs. Gruby, unsere beste Putzmacherin, hält nichts von einer sklavischen Befolgung der Pariser Moden. Sie schöpft ihre eigenen Modelle. Aber vor drei Jahren hat sie, als großes Zugeständnis an die Konvention, doch eine Tournee durch die New Yorker Läden gemacht und kreiert nun immer noch Moden aus der Inspiration jenes Besuchs.
Also, außer meinem eigenen Hut muß ich 113 Hüte für meine Kinder kaufen, gar nicht zu reden von den Schuhen und Sporthosen und Hemden und Haarschleifen und Strümpfen und Strumpfhaltern. Es ist eine ganz hübsche Aufgabe, eine kleine Familie wie die meine anständig gekleidet zu halten.
Hast Du den angestückten Brief bekommen, den ich letzte Woche schrieb? Du hattest nicht die Güte, ihn in Deinem Brief vom Donnerstag zu erwähnen, dabei war er siebzehn Seiten lang, und ich habe tagelang daran geschrieben.
Herzliche Grüße Deine
S. McBride.
PS. Warum schreibst Da mir nichts über Gordon? Hast Du ihn gesehen? Hat er von mir gesprochen? Läuft er einem von den hübschen Mädchen aus dem Süden nach, von denen es in Washington so viele gibt? Du weißt, daß ich das alles wissen möchte. Warum bist Du so niederträchtig schweigsam?
Dienstag, 4.27 nachmittags
Liebe Judy!
Dein Telegramm wurde vor zwei Minuten telefonisch durchgegeben. Ja, vielen Dank, ich freue mich rasend, am Donnerstagnachmittag um 5.49 anzukommen. Und, bitte, mach für den Abend nichts aus; denn ich will bis Mitternacht aufbleiben, um mit Dir und dem Präsidenten über John-Grier zu tratschen.
Freitag, Samstag und Montag muß ich einkaufen. Ja gewiß, Du hast recht, ich besitze schon mehr Kleider, als irgendein Vogel im Käfig braucht, aber wenn der Frühling kommt, muß ich neue Federn haben. Ich trage sowieso schon jeden Abend ein Abendkleid, nur um sie abzutragen, — nein, nicht nur deshalb,- sondern um mir einzureden, daß ich wirklich nur ein gewöhnliches junges Mädchen bin, trotz dem außerordentlichen Leben, in das Ihr mich geschubst habt.
Der ehrenwerte Cy’traf mich gestern in nilgrüner Seide angetan (eine Schöpfung von Jane, die aber pariserisch aussieht). Er war höchst verwundert, als er feststellte, daß ich nicht im Begriff war, auf einen Ball zu gehen. Ich lud ihn ein, mit mir zu Abend zu essen, und er nahm es an! Wir sind sehr gut ausge' kommen. Essen macht ihn mitteilsam. Es bekommt ihm wohl gut. Falls es zur Zeit in New York irgendeinen Bernard Shaw gibt, würde ich, glaub ich, gerne am Samstagnachmittag einige Stunden an eine Vorstellung wenden. Dialoge von G.B.S. wären ein so belebender Kontrast zu denen des ehrenwerten Cy.
Es hat keinen Zweck, mehr zu schreiben. Ich will alles aufs Reden aufsparen.
Addio.
Sallie.
PS. Ach Gott! Grad als ich anfing, einen Funken Nettigkeit an Sandy zu finden, ist er wieder ausgebrochen und war greulich. Unglücklicherweise haben wir fünf Masernfälle in der Anstalt, und der Mann tut so, als hätten Miß Snaith und ich den Kindern die Masern mit Absicht angehext, um ihm Arger zu machen. Es gibt viele Tage, an denen ich den Rücktritt unseres Doktors gern annehmen würde.
Mittwoch.
Lieber Feind!
Ihr kurzes und würdiges
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