Lieber Feind
Kindes schwebten. Sie kamen schließlich letzte Woche und sagten, sie würden gerne eines auf einen Monat ausprobieren, um zu sehen, wie es geht.
Natürlich wollten sie ein hübsches Zierstück in weißrosa Kleidchen, mit einer Abstammung von der „Mayflower“. Ich sagte ihnen, es sei keine Kunst, eine Tochter der „Mayflower“ zu einer Zierde der Gesellschaft zu erziehen, dagegen wäre es eine echte Tat, den Sohn eines italienischen Drehorgelspielers und einer irischen Waschfrau aufzuziehen. Und ich bot Punch an. Die neapolitanische Erbschaft, die er hat, könnte — künstlerisch gesehen — eine wunderbare Mischung ergeben, wenn in einer richtigen Umwelt das Unkraut zerstört würde.
Ich habe ihnen das als sportliche Aufgabe gestellt, und sie nahmen sie an. Sie sind bereit, ihn auf einen Monat zu nehmen und die ganzen aufgespeicherten Kräfte ihrer Jahre auf seine Umerziehung zu konzentrieren, auf daß er für die Adoptierung in einer moralischen Familie geeignet wird. Sie haben beide einen Sinn für Humor, und die Fähigkeit, etwas fertigzubringen, sonst hätte ich einen solchen Vorschlag nie gewagt. Und ich glaube wirklich, es wird der einzige Weg sein, um unseren jungen Feueresser zu zähmen. Sie werden ihm die Liebe und Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeiten bieten, die er in seinem ganzen vernachlässigten kleinen Leben nie gehabt hat.
Sie leben in einem bezaubernden alten Haus mit einem italienischen Garten, und einer Einrichtung, die aus allen Weltteilen stammt. Es ist wirklich wie ein Sakrileg, dieses Kind, das alles zerstört, auf eine solche Sammlung von Kostbarkeiten loszulassen. Aber er hat hier schon über einen Monat lang nichts kaputt gemacht, und ich glaube, die italienische Ader in ihm wird auf so viel Schönes reagieren.
Ich habe sie gewarnt, vor keinen Flüchen zurück zuschrecken, die aus seinem zarten Kindermund hervorkommen könnten.
Er fuhr gestern in einem höchst eleganten Auto ab. Und ob ich nicht froh war, unserem anrüchigen jungen Mann adieu zu sagen! Er hat ungefähr die Hälfte meiner Energie aufgebraucht.
Freitag.
Das Pendant ist heute früh angekommen. Vielen Dank! Aber Du hättest mir wirklich nicht ein zweites geben sollen; eine Gastgeberin ist doch nicht verantwortlich für alles, was sorglose Gäste in ihrem Haus verberen. Es ist viel zu hübsch für meine Kette. Ich überlege mir, ob ich meine Nase auf Negerart durchbohren lassen und meinen neuen Schmuck so tragen soll, daß man ihn wirklich sieht.
Ich muß Dir erzählen, daß unser Percy gute Aufbau-Arbeit für unsere Anstalt leistet. Er hat die John-Grier-Bank gegründet und hat alle Einzelheiten in einer sehr fach- und geschäftsmäßigen Weise ausgearbeitet, die meinem unmathematischen Gehirn völlig unverständlich ist. Alle größeren Kinder besitzen gedruckte Scheckbücher, und sie sollen 5,— Dollar die Woche für ihre Dienstleistungen erhalten, als da sind: zur Schule gehen und bei der Hausarbeit helfen. Sie müssen dann der Anstalt (per Scheck) ihre Pension und Bekleidung bezahlen, womit ihre fünf Dollar aufgebraucht sind. Es sieht aus wie ein circulus vitiosus. Aber es ist in Wirklichkeit sehr erzieherisch. Sie werden den Wert des Geldes verstehen lernen, bevor wir sie in eine vom Profit bestimmte Welt ausstoßen. Wer bei den Schul- und Hausarbeiten besonders gut ist, bekommt eine Sonderentschädigung. Mein Kopf brummt beim Gedanken an die Buchhaltung, aber Percy schiebt das als bloße Bagatelle beiseite. Unsere besten Mathematiker sollen die Buchführung übernehmen und dadurch für Vertrauensstellungen vorbereitet werden. Wenn Jervis irgendwelche Möglichkeiten für Bankbeamte weiß, soll er sie mitteilen; in einem Jahr werde ich einen wohlausgebildeten Präsidenten, Kassierer und Schalterbeamten zur Verfügung haben.
Samstag.
Unser Doktor mag nicht „Feind“ genannt werden. Es kränkt seine Gefühle oder seine Würde oder sonst etwas; aber da ich trotz seines Protestes daran festhalte, hat er schließlich mit einem Spitznamen für mich geantwortet. Er nennt mich „Miß Sally Lunn“ und glüht vor Stolz über diesen Gedankenflug seiner Phantasie.
Er und ich halben eine neue Unterhaltung erfunden. Er spricht Schottisch, und ich antworte auf Irisch.
„Lat Se dat god gan Dokter. Un wi geiht se dat hüt?“
„God, god. Un wat magt de lütt Gören ?“
„Dar geiht se woll god.“
„Dat is ja fein. De lau Luft is nicks för de Lüt. Dat givt vel Kranksin i Landen.“
„Een Glück, dat se
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