Lieber Feind
wollten, sollte in einem winzigen Zimmer mit ihren drei Kindern schlafen. Ihr Küchen-Eßzimmer-Wohnraum war vollgestopfter und ungelüfteter als irgendeine städtische Elendswohnung, die ich je sah, — bei einem Thermometerstand von 30 Grad. Man kann kaum sagen, daß sie dort lebten. Sie schmorten. Du kannst ganz ruhig sein, die bekommen kein Mädchen von uns.
Ich habe eine einzige Regel aufgestellt, gegen die nicht verstoßen werden darf — alle anderen sind dehnbar. Kein Kind wird weggegeben, wenn die vorgeschlagene Familie nicht mehr bieten kann als wir. Damit meine ich das, was wir im Lauf von einigen Monaten zu bieten vermögen, wenn wir uns in eine Musteranstalt verwandelt haben werden. Ich muß gestehen, daß es vorläufig um uns noch ziemlich bös bestellt ist. Aber auf jeden Fall bin ich sehr wählerisch in bezug auf Heime. Und ich lehne drei Viertel derjenigen ab, die angeboten werden.
Später.
Gordon hat an meinen Kindern ehrenhafte Wiedergutmachung geübt. Sein Sack Erdnüsse ist angekommen; er ist aus Sackleinen und einen Meter hoch!
Erinnerst Du Dich an den Nachtisch aus Erdnüssen und Ahornzucker, den es so oft im College gab? Wir rümpften zwar die Nasen, aßen ihn aber. Ich führe ihn hier ein, und ich versichere Dir, daß wir unsere Nasen nicht rümpfen. Es ist eine Freude, Kinder zu füttern, die einen Kursus bei Mrs. Lippett durchgemacht haben. Sie sind rührend dankbar für kleine Gaben.
Du kannst Dich nicht darüber beklagen, daß dieser Brief zu kurz ist.
Am Rande eines Schreibkrampfs
Deine S. McB.
John-Grier -Heim,
Am Freitag, mit Unterbrechungen.
Liebe Judy!
Es wird Dich interessieren zu hören, daß ich einem weiteren Feind begegnet bin — der Haushälterin des Doktors. Ich hatte ein paar Mal mit der Person am Telefon gesprochen, und hatte festgestellt, daß sich ihre Stimme nicht durch den sanften, leisen Akzent auszeichnet, der die Kaste der „Vere de Vere“ kennzeichnet. Aber jetzt habe ich sie gesehen. Heute früh auf dem Heimweg vom Dorf machte ich einen kleinen Umweg und ging am Haus unseres Doktors vorbei. Sandy ist offenbar das Produkt seiner Umwelt — olivgrün, mit Mansardendach und herabgelassenen Rolläden. Man könnte glauben, er habe gerade eine Beerdigung abgehalten. Es wundert mich nicht, daß dem armen Mann die Lieblichkeiten des Lebens entgangen sind. Nachdem ich das Äußere seines Hauses studiert hatte, war ich neugierig, ob das Innere dazu paßt.
Da ich heute vor dem Frühstück fünfmal geniest hatte, beschloß ich, hineinzugehen und ihn als Arzt zu konsultieren. Er ist zwar Spezialist für Kinder, aber Erkältungen kommen in allen Lebensaltern vor. Ich stieg also kühn die Treppe hinauf und läutete.
Gott! Was muß ich hören? So wahr ich lebe, es ist die Stimme des ehrenwerten Cyrus, die auf der Treppe näherkommt. Ich muß Briefe schreiben und kann mich nicht durch sein Gemeckere stören lassen, also jage ich Jane an die Tür mit dem Befehl, ihm fest in die Augen zu schauen und zu sagen, daß ich ausgegangen sei.
* * * * * * * *
Weiter im Tanz! Freude ohne Ende. Er ist fort. Indessen, diese acht Sternchen stellen acht qualvolle Minuten dar, die ich im Schrank meiner Bibliothek verbrachte. Der ehrenwerte Cy empfing Janes Erklärung mit der freundlichen Mitteilung, daß er warten werde. Woraufhin er hereinkam und saß. Aber hat Jane mich im Schrank dahinsiechen lassen? Nein, sie lockte ihn zu den Kleinen, damit er sehe, was Sadie Kate Entsetzliches angestellt hat. Der ehrenwerte Cy liebt entsetzliche Dinge, vor allem, wenn Sadie Kate sie angestellt hat. Ich habe keine Ahnung, was für eine Untat Jane auf decken wird; aber das macht nichts. Er ist gegangen.
Wo war ich? Ach ja, ich hatte gerade beim Doktor geklingelt.
Die Tür wurde von einer großen, kräftigen Person mit aufgekrempelten Ärmeln geöffnet. Sie sah sehr geschäftstüchtig aus, mit einer Geiernase und kalten grauen Augen.
„Nü?“ sagte sie, und in ihrem Ton lag die Annahme, daß ich ein Vertreter für Staubsauger sei. „Guten Morgen!“ Ich lächelte liebenswürdig und trat ein. „Sind Sie Mrs. McGurk?“
„Se is dat“, sagte sie. „Un Se warn de ni Fru ut Wisenhus sin.“
„Das bin ich“, sagte ich. „Ist er zu Hause?“
„Hei is ni dor“, sagte sie.
„Aber jetzt ist doch Sprechstunde.“
„Hei holt se ni regelmaatig.“
„Er sollte“, sagte ich streng. „Sagen Sie ihm gütigst, daß Miß McBride seinen ärztlichen Rat einholen wollte, und bitten Sie ihn,
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