Lieber Feind
gewesen sein! Er erinnert mich in mancher Hinsicht an Sandy.
Hiermit will ich Ihnen mitteilen, daß wir eine Agentin zur Unterbringung von Kindern auf Besuch haben. Sie ist dabei, über vier unserer Kücken zu verfügen, darunter Thomas Kehoe. Was meinen Sie? Sollen wir es wagen? Die Stelle, die sie für ihn im Auge hat, ist eine Farm in einem Bezirk von Connecticut, wo Alkohol verboten ist, wo er für seinen Unterhalt schwer arbeiten und in der Familie des Farmers leben wird. Es klingt genau richtig, und wir können ihn nicht auf ewig hierbehalten. Einmal muß er in eine Welt voller Whisky entlassen werden.
Es tut mir leid, Sie von dem heiteren Werk über „Dementia Praecox“ loszureißen; aber ich wäre äußerst dankbar, wenn Sie gegen acht Uhr zu einer Besprechung mit jener Agentin hier hereinschauen würden.
Ich bin, wie immer
S. McBride.
17. Juni.
Meine liebe Judy!
Betsy hat mit einem Paar adoptierender Eltern das gewissenloseste Spiel getrieben. Sie sind in ihrem Touren-Wagen von Ohio nach dem Osten gefahren, um einerseits das Land kennenzulernen, andererseits eine Tochter aufzulesen. Sie scheinen die führenden Bürger ihrer Stadt zu sein. Der Name ist mir im Augenblick entfallen, aber es ist eine sehr wichtige Stadt. Sie hat ein Elektrizitäts- und ein Gaswerk, und der Herr Führende Bürger 3 ) besitzt den Hauptanteil an beiden. Mit einer Handbewegung kann er die ganze Stadt ins Dunkel stürzen, aber glücklicherweise ist er ein guter Mann und wird nichts so Hartes tun nicht einmal dann, wenn er nicht wieder zum Bürgermeister gewählt werden sollte. Er lebt in einem Backsteinhaus mit einem Schieferdach und zwei Türmen und hat im Garten ein Reh und einen Springbrunnen und viele schöne schattige Bäume. (Ein Foto davon trägt er in der Tasche bei sich.) Sie sind gutmütige, freigebige, gutherzige, lächelnde Leute, ein wenig dick; Du siehst also, was für wünschenswerte Eltern sie abgeben würden.
Also, wir hatten genau die Tochter ihrer Träume, nur hatte sie, da sie ohne Vorankündigung kamen, bloß ein Flanellnachthemd an, und ihr Gesicht war schmutzig. Sie sahen sich Karoline an und waren nicht beeindruckt; aber sie bedankten sich höflich und sagten, sie würden sie im Sinn behalten. Sie wollten vor einem endgültigen Entschluß noch das New Yorker Waisenhaus besuchen. Wir wußten genau, daß unsere arme kleine Karoline keine Chance mehr hatte, wenn sie die dortige Ansammlung besserer Kinder besichtigen würden.
Doch Betsy war der Katastrophe durchaus gewachsen. Sie lud die beiden liebenswürdig zum Tee in ihr Elternhaus ein, wo einer unserer kleinen Schützlinge heute nachmittag ihre kleine Nichte besuchen werde. Herr und Frau Führender Bürger kennen nicht viele Leute im Osten und haben nicht so viele Einladungen erhalten, wie ihnen nach ihrer Ansicht zuständen. Daher waren sie über die Aussicht auf etwas gesellschaftliche Ablenkung ganz unschuldig erfreut. Sobald sie sich zu ihrem Mittagessen ins Hotel zurückgezogen hatten, telefonierte Betsy nach ihrem Wagen und stürzte mit Baby Karoline nach Hause. Sie stopfte sie in das hübscheste rosa und weiß bestickte Kleid der Baby-Nichte, lieh einen Hut aus irischer Spitze, rosa Söckchen und weiße Pantöffelchen aus, und setzte sie malerisch auf den Rasen im Garten unter eine breite Buche. Ein weißbeschürztes Kindermädchen (ebenfalls von der Baby-Nichte ausgeliehen) fütterte sie mit Brot und Milch und gab ihr lustige bunte Spielsachen. Als die ausersehenen Eltern ankamen, war unsere Karoline so voller Essen und Vergnügen, daß sie sie mit einem Gurren des Entzückens begrüßte. Vom Augenblick an, als ihr Blick auf das Kind fiel, waren sie von Begierde erfüllt. Da sie wenig Beobachtungsgabe hatten, zog nicht der Schatten eines Verdachts über ihre Gemüter, daß diese süße kleine Rosenknospe das Kind vom Vormittag sein könne. Und nun, nachdem ein paar Formalitäten erledigt sind, sieht es wirklich so aus, als werde Baby Karoline in „Den Türmen“ leben und zu einem Führenden Bürger heranwachsen.
Ich muß mich wirklich ohne Aufschub an die brennende Frage neuer Kleider für unsere Mädchen machen.
Mit vorzüglicher Hochachtung bin ich, geehrte gnädige Frau,
Ihre gehorsamste und untertänigste Dienerin
Sal. McBride.
19. Juni.
Meine liebste Judy!
Vernimm die größte aller Neuerungen, und zu gleich auch die, die Dein Herz am meisten erfreuen wird:
KEIN BLAUER KATTUN MEHR!
In der Überzeugung, daß die
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