Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
Vom Netzwerk:
immerfort. Auswärts kann ich sie nicht unterbringen, und sie hier großzuziehen, kommt mir zu schrecklich vor; denn wenn wir nach unserer Verwandlung auch noch so gut werden, wir sind eben eine Anstalt, und unsere Zöglinge sind nur kleine Brutkasten-Kücken. Sie bekommen nicht die individuelle, umständliche Pflege, die nur eine alte Henne geben kann.
    Es gibt viele interessante Neuigkeiten, die ich Dir hätte erzählen können, aber meine neue kleine Familie hat mir alle anderen Gedanken ausgetrieben.
    Gören sin een Spaß, awer se magt ok veel Liid.
    Immer Deine
    Sallie.

    PS. Vergiß nicht, daß Du mich nächste Woche besuchen wirst.
    PS. II. Dieser Doktor, der sonst so wissenschaftlich und unsentimental ist, hat sich in Allegra verliebt. Er hat nicht den kleinsten Blick auf ihre Mandeln geworfen; er hat sie nur in die Arme genommen und an sich gedrückt. Oh, das ist eine kleine Hexe! Was soll bloß aus ihr werden?

    22. Juni.
    Meine liebe Judy!
    Ich kann berichten, daß Du Dich über unseren unzulänglichen Feuerschutz nicht länger zu beunruhigen brauchst. Der Doktor und Mr. Witherspoon haben dieser Frage ihre ernsthafteste Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, und kein Spiel, das bisher erdacht wurde, hat sich als so unterhaltsam und zerstörerisch erwiesen wie die Feuerübung. Die Kinder ziehen sich alle in ihre Betten zurück und stürzen sich in eifrigen Schlaf. Der Feueralarm ertönt. Sie springen auf, schlüpfen in die Schuhe, reißen die oberste Decke von ihrem Bett, wickeln sie um ihre vermeintlichen Nachthemden, ordnen sich in Reih und Glied und traben durch die Halle zum Treppenhaus.
    Unsere siebzehn Kleinsten im Baby-Zimmer sind in der Obhut je eines Indianers und werden — vor Entzücken kreischend — in Bündeln hinausgetragen. Die übrigen Indianer widmen sich, solange das Dach noch nicht einzustürzen droht, dem Rettungswerk. Bei Gelegenheit unserer ersten Übung unter Percys Kommando wurde der Inhalt von einem Dutzend Kleiderkisten in die Leintücher gestürzt und zum Fenster hinausgeschleudert. Ich riß die Diktatur gerade noch rechtzeitig an mich, um zu verhindern, daß die Kissen und Matratzen nachfolgten. Wir haben Stunden damit zugebracht, die Kleider wieder aus.-zusortieren, während Percy und der Doktor, nun ohne alles Interesse, mit ihren Pfeifen einen Spaziergang zum Lager machten.
    Unsere künftigen Übungen sollen eine Spur weniger realistisch sein. Aber es freut mich, Dir mitzuteilen, daß wir unter der geschulten Leitung von Feuerwehr-Direktor Witherspoon das Gebäude in sechs Minuten und achtundzwanzig Sekunden geräumt hatten.
    Das Baby, die Allegra, hat Feenblut in den Adern. Noch nie hat diese Anstalt solch ein Kind beherbergt, --mit Ausnahme von einer, die Jervis und
    ich kennen. Sie hat den Doktor vollkommen unterworfen. Statt, daß er wie ein ernsthafter Mediziner seinen Besuchen nachgeht, kommt er Hand in Hand mit Allegra in meine Bibliothek, kriecht eine halbe Stunde auf dem Teppich herum und spielt ein Pferd, während das holde Kind auf seinem Rücken sitzt und ausschlägt.
    Weißt Du, ich denke daran, eine Reklame in die Zeitung zu setzen:

    Charaktere werden aufs beste umgemodelt.
    S. McBride.

    Sandy hatte vorgestern abend hereingeschaut, um mit Betsy und mir ein wenig Konversation zu treiben, und er war geradezu frivol. Er hat drei Witze gemacht und sich ans Klavier gesetzt und alte schottische Lieder gesungen: „Meine Liebe ist wie eine rote, rote Rose“, „Komm mit unter meine Decke“ und „Wer ist dort am Fenster? Wer? Wer?“ Keins war erzieherisch. Und dann hat er ein paar Schritte Strathspey getanzt!
    Ich saß nur da und strahlte über das Werk meiner Hände; denn es ist kein Zweifel, ich habe das alles durch mein frivoles Beispiel erreicht und durch die Bücher, die ich ihm gegeben habe, und weil ich ihn in die leichtherzige Gesellschaft der Jimmie und Percy und Gordon Hallock einführte. Wenn ich noch ein paar Monate Zeit habe, werde ich den Mann noch menschlich machen. Er hat die violetten Krawatten aufgegeben und zieht auf meine taktvolle Anregung hin einen grauen Anzug an. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie gut er ihm steht. Er wird geradezu vornehm aussehen, wenn ich ihn erst dazu bringen kann, keine klobigen Gegenstände mehr in den Taschen zu tragen.
    Adieu, und vergiß nicht, daß wir Dich am Freitag erwarten.
    Sallie.

    PS. Hier ist ein Bild von Allegra, das Mr. Witherspoon aufgenommen hat. Ist sie nicht zum Verlieben? Die Kleider, die sie

Weitere Kostenlose Bücher