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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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höflich aber kühl. Das Ägerliche ist, daß er auch sehr kühl ist; er scheint die Idee zu haben, daß der Temperaturrückgang ganz auf seiner Seite sei. Er geht seiner Arbeit in einer wissenschaftlichen, unpersönlichen Manier nach, die durchaus verbindlich, aber etwas unbeteiligt ist.
    Doch beunruhigt uns der Doktor zur Zeit nicht allzusehr. Wir sind im Begriff, den Besuch einer viel anziehenderen Person als Sandy zu empfangen. Das Haus der Abgeordneten ruht wieder einmal von seinen Mühen aus, und Gordon genießt Ferien, von denen er zwei Tage im Gasthaus Brantwood verbringen will.
    Ich bin selig, daß Ihr genug vom Meer habt und für den Rest des Sommers an unsere Gegend denkt. Man kann innerhalb weniger Meilen vom John-Grier einige große Güter haben, und es wird für Jervis eine nette Abwechslung sein, nur zum Wochenende nach

    Hause zu kommen. Nach einer angenehm verbrachten Trennung wird jeder von Euch dem gemeinsamen Vorrat neue Ideen hinzufügen.
    Ich kann über das Thema Eheleben im Augenblick keine weiteren Bemerkungen machen, da ich mir die Monroe Doktrin und ein paar andere politische Themen wieder in Erinnerung bringen muß.
    Ich bin in freudiger Erwartung auf die drei Monate mit Dir im August.
    Wie immer
    Sallie.

Freitag.
    Lieber Feind!
    Es ist sehr verzeihend von mir, wenn ich Sie nach dem vulkanartigen Ausbruch der letzten Woche zum Abendessen einlade. Immerhin: Kommen Sie, bitte. Erinnern Sie sich an unseren wohltätigen Freund Mr. Hallock, der uns die Erdnüsse und Goldfische und andere unverdauliche Kleinigkeiten schickte? Er wird heute abend bei uns sein, und damit erhalten Sie Gelegenheit, seine Wohltätigkeit in hygienischere Bahnen zu lenken.
    Wir essen um sieben.
    Wie immer
    Sallie McBride.

    Lieber Feind!
    Sie hätten in jenen Zeiten leben sollen, als jeder Mensch seine eigene Höhle in seinem eigenen Berg bewohnte.
    S. McBride.

Freitag 6.30.
    Liebe Judy!
    Gordon ist hier und in seiner Einstellung zu meiner Anstalt ein verwandelter Mann. Er hat die uralte Wahrheit erfaßt, daß der Weg ins Herz einer Mutter über das Lob ihrer Kinder führt, und er hat nichts als Lob für die 107 meinigen. Sogar über Loretta Higgins wußte er etwas Freundliches zu sagen; er findet es schon viel, daß sie nicht schielt.
    Er ist heute nachmittag im Dorf mit mir einkaufen gegangen und war sehr hilfreich bei der Auswahl von Haarschleifen für einige Dutzend kleine Mädchen. Er bat, die für Sadie Kate selbst aussuchen zu dürfen, und nach vielen Überlegungen kam er auf eine orangerote für den einen, eine smaragdgrüne für den zweiten Zopf.
    Während wir in dieses Unternehmen vertieft waren, merkte ich, daß eine Kundin in der Nähe nur so tat, als sei sie mit Haken und Ösen beschäftigt, in Wahrheit aber jedes Ohr spitzte, um unsere Dalbereien zu hören.
    Sie hatte einen so malerischen Hut auf, einen getupften Schleier, eine Feder-Boa und einen hypermodernen Sonnenschirm, daß mir nicht im Traum eingefallen wäre, ich könne mit ihr bekannt sein, bis ich dem wohlbekannten, bösartigen Blick in ihren Augen begegnete. Sie verbeugte sich steif und voller Mißbilligung; und ich nickte wieder. Mrs. Maggie McGurk in ihrem Ausgangsstaat.
    Der hier festgehaltene Ausdruck ist angenehmer als in Wirklichkeit. Das Lächeln kam bloß daher, daß meine Feder ausrutschte. Die arme Mrs. McGurk kann die Möglichkeit eines rein geistigen Interesses an einem Mann nicht begreifen.

    Sie hat mich in Verdacht, daß ich jeden einzelnen, den ich treffe, heiraten möchte. Zuerst glaubte sie, ich wolle ihren Doktor wegschnappen; aber jetzt, nachdem sie mich mit Gordon gesehen hat, hält sie mich für ein bigamistisches Ungeheuer, das beide haben will.
    Adieu; die Gäste nahen.

    11.30 abends.
    Ich habe soeben ein Essen für Gordon gegeben, Betsy, Mrs. Livermore und Mr. Witherspoon waren da. Ich hatte den Doktor gütigst eingeschlossen, aber er hat kurz abgelehnt mit der Begründung, er sei nicht in geselliger Stimmung. Unser Sandy läßt Höflichkeit nicht der Wahrheit in den Weg kommen!
    Es gibt keinen Zweifel, Gordon ist der bestaus-8ehende Mann, der je geatmet hat. Er ist so schön und leicht und charmant und witzig, und seine Manieren sind so tadellos. — Ach, er würde einen herrlich dekorativen Mann abgeben! Aber schließlich muß man mit seinem Mann doch wohl Zusammenleben; man hat ihn nicht nur, um ihn bei Diners und Tees vorzuführen.
    Er war heute abend ganz ungewöhnlich nett. Betsy und Mrs. Livermore haben sich

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