Lieber Feind
dessen die Führung seines privaten Haushalts zu übernehmen.
Ist Dir schon einmal so ein Mann vorgekommen? Er hatte den ganzen Nachmittag und viele Meilen leerer Wiesen, wo er die Frage hätte erörtern können, aber statt dessen muß er unseren Türvorleger aussuchen!
Ich weiß nicht genau, was ich gesagt habe. Ich versuchte, leicht abzulenken und ihn eilig an seinen Zug zu schicken. Aber er hat sich geweigert, sich leicht ablenken zu lassen. Gegen einen Pfosten gestemmt, bestand er darauf, die Sache zu Ende durchzusprechen. Ich wußte, daß er seinen Zug versäumen werde, und daß jedes Fenster in dieser Anstalt offen war. Ein Mann denkt ja nie daran, daß jemand zuhören könnte; es ist immer die Frau, die auf die Konvention achtet.
Da ich den nervösen Wunsch hatte, ihn los zu werden, war ich wohl ziemlich taktlos und abrupt. Er wurde böse, und dann fiel durch einen unglücklichen Zufall sein Auge auf jenen Wagen. Er hat ihn auch gleich erkannt, und in einer bösen Laune fing er an, sich über den Doktor lustig zu machen. „Alte Hornbrille“ nannte er ihn, und „Stelzfuß“, und überhaupt die schlimmste Sorte ungezogener, blöder Dinge.
Ich -war gerade dabei, ihm mit überzeugendem Ernst zu versichern, daß mir der Doktor ganz wurscht sei, daß ich ihn so komisch und unmöglich wie möglich finde, als sich plötzlich der Doktor in seinem Wagen erhob und auf uns zuging.
In dem Augenblick hätte ich etwas darum gegeben, einfach von der Erde verdunsten zu mögen!
Sandy war ganz offenbar böse, und das durfte er auch sein, nachdem, was er gehört hatte. Aber er war völlig kühl und gesammelt. Gordon war heiß und platzte vor eingebildeten Kränkungen. Ich war außer mir über das absolut blödsinnige und überflüssige Durcheinander, das plötzlich aus nichts entstanden war. Sandy entschuldigte sich bei mir mit unübertrefflicher Höflichkeit dafür, daß er aus Versehen etwas belauscht habe, dann wandte er sich zu Gordon und lud ihn steif ein, einzusteigen und mit ihm an die Bahn zu fahren. Ich bat ihn, nicht zu gehen. Ich wollte nicht die Ursache eines dummen Streits zwischen den beiden sein. Aber ohne mich im geringsten zu beachten, stiegen sie in den Wagen, wirbelten fort, und ließen mich einfach auf dem Türvorleger stehen.
Ich ging dann ins Haus und ins Bett und lag stundenlang wach in der Erwartung, — ich weiß nicht was für eine Explosion zu hören. Es ist jetzt 11 Uhr, und der Doktor ist immer noch nicht erschienen. Ich habe keine Vorstellung, wie in aller Welt ich ihm begegnen soll, wenn er kommt. Ich glaube, ich werde mich im Kleiderschrank verstecken.
Hast Du je etwas so dummes und unnötiges wie diese ganze Situation erlebt? Ich nehme an, daß ich mich jetzt mit Gordon zerstritten habe — und ich weiß wirklich nicht über was —, und mein Verhältnis zum Doktor wird natürlich furchtbar peinlich sein.
Ich habe scheußliche Sachen über ihn gesagt — Du weißt, wie dumm ich daherrede — Sachen, die ich nie gemeint habe.
Ich wollte, es wäre gestern um dieselbe Zeit. Ich würde Gordon zwingen, um 4 Uhr abzureisen.
Sallie.
Sonntagnachmittag.
Lieber Dr. MacRae!
Das war gestern abend eine scheußliche, dumme, lächerliche Angelegenheit. Aber inzwischen müssen Sie mich gut genug kennen, um zu wissen, daß ich nie die dummen Sachen meine, die ich sage. Meine Zunge hat nicht die geringste Verbindung mit meinem Hirn; sie läuft auf eigenen Touren. Ich muß Ihnen sehr undankbar Vorkommen nach all’ der Hilfe, die Sie mir bei dieser ungewohnten Arbeit gewährt haben, und nach der Geduld, die Sie (gelegentlich) an den Tag legten.
Ich bin mir durchaus bewußt, daß ich diese Anstalt nie allein hätte leiten können, ohne Ihre verantwortungsbewußte Anwesenheit im Hintergrund; und obwohl Sie zuweilen, wie Sie selbst zugeben müssen, ziemlich ungeduldig und übellaunig und schwierig waren, habe ich Ihnen das doch nicht zur Last gelegt; und ich habe wirklich nichts von den ungezogenen Sachen gemeint, die ich gestern abend aussprach. Bitte verzeihen Sie mir, daß ich Sie gekränkt habe. Ich würde sehr bedauern, Ihre Freundschaft zu verlieren. Und wir sind doch Freunde, nicht wahr? Ich möchte es gerne glauben.
S. McB.
Liebe Judy!
Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob der Doktor und ich wieder im reinen sind. Ich habe ihm einen höflichen Entschuldigungsbrief geschickt, den er mit abgründigem Schweigen aufnahm. Er ist erst heute nachmittag in unsere Nähe gekommen und hat dann
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