Lieber Feind
beide in ihn verliebt, — und ich auch ein bißchen. Er hat uns mit einer Rede in seiner besten öffentlichen Form unterhalten; Thema: das Wohl von Java. Wir hatten die größte Mühe, für den Affen einen Schlafplatz zu finden, und Gordon bewies uns mit unbestreitbarer Logik, daß er, weil er uns von Jimmie geschenkt worden ist, und weil Jimmie Percy’s Freund ist, bei Percy schlafen muß. Gordon ist von Natur ein Redner, und eine Zuhörerschaft wirkt auf ihn wie Champagner. Er kann mit ebensoviel gefühlvollem Ernst über das Thema eines Affen diskutieren wie über den größten Held, der je für sein Land verblutet ist.
Ich fühlte, wie mir die Tränen in die Augen kamen, als er die Einsamkeit von Java beschrieb, wenn er die Nacht hindurch in unserem Heizkeller wacht und sich vorstellt, wie seine Brüder im fernen tropischen Dschungel beim Spielen sind.
Ein Mann, der so reden kann, hat eine Zukunft. Ich habe keinen Zweifel, daß ich in zwanzig Jahren für ihn als Präsidenten stimmen werde.
Wir haben es alle sehr genossen und haben — drei Stunden lang — völlig vergessen, daß um uns herum 107 Waisenkinder schlummerten. So gern ich die lieben Kleinen auch habe, manchmal ist es angenehm, von ihnen Abstand zu nehmen.
Meine Gäste sind um 10 Uhr gegangen, und es muß jetzt Mitternacht sein. (Heute ist der achte Tag, und meine Standuhr ist wieder mal stehengeblieben; Jane vergißt das Aufziehen so sicher, wie jeweils der Freitag wiederkehrt.) Aber ich weiß, daß es spät ist. Und als Frau ist es meine Pflicht, etwas Schönheitsschlaf mit zu kriegen, vor allem mit einem annehmbaren jungen Freier in der Nähe.
Ich schreibe morgen fertig. Gute Nacht.
Samstag.
Gordon hat den Vormittag damit verbracht, mit meiner Anstalt zu spielen und sich einige sinnreiche Geschenke auszudenken, die später geschickt werden sollen. Er meint, drei sauber gemalte Totem-Pfähle würden unsere Indianerlager noch anziehender machen. Er will uns auch drei rosa Spielhöschen für die Babys schenken. Rosa ist bei der Vorsteherin dieser Anstalt sehr beliebt, Blau kann sie nicht mehr sehen! Unser freigebiger Freund spielt auch mit dem Gedanken an ein paar Esel, Sättel und ein rotes Wägelchen. Ist es nicht schön, daß Gordons Vater ihn so reich ausgestattet hat, und daß der junge Mann so zur Wohltätigkeit neigt? Zur Zeit ißt er mit Percy im Hotel zu Mittag und saugt, wie ich hoffe, neue Ideen für die Gefilde der Wohltätigkeit ein.
Meinst Du vielleicht, ich hätte diese Unterbrechung in der Eintönigkeit des Anstaltslebens nicht genossen! Wie sehr Sie auch behaupten mögen, Mrs. Pendleton, daß ich Ihre Anstalt gut führe, es ist trotz dem nicht das mir bestimmte Leben, so stationär zu sein. Ich brauche häufige Abwechslung. Deshalb ist Gordon mit seinem überlaufenden Optimismus und kindlichen Gemüt so erfrischend, vor allem als Gegensatz zu zuviel Doktor.
Sonntagmorgen.
Ich muß Dir das Ende von Gordons Besuch erzählen. Seine ursprüngliche Absicht war, um 4 Uhr abzureisen, aber in einem unglücklichen Augenblick bat ich ihn, bis 9.30 Uhr zu bleiben, und gestern nachmittag machten er, Singapur und ich einen langen Spaziergang über Land, weit weg vom Anblick der Türme dieser Anstalt. Wir haben in einem Gasthaus am Wege haltgemacht, und es gab ein befriedigendes Abendessen aus Schinken, Eiern und Weißkraut. Sing hat so schamlos gefuttert, daß er seitdem apathisch ist.
Der Spaziergang und alles andere war lustig und eine höchst dankenswerte Abwechslung in dem eintönigen Leben, das ich hier führe. Ich wäre auf Wochen hinaus vergnügt und zufrieden gewesen, wenn nicht später etwas höchst Unangenehmes passiert wäre. Wir hatten einen wunderschönen, sonnigen, sorgenfreien Nachmittag, und ich bin traurig, daß er verdorben worden ist.
Wir kamen höchst prosaisch mit der Elektrischen zurück und erreichten das J.G.H. vor 9 Uhr, also gerade rechtzeitig genug, daß er an die Bahn laufen und seinen Zug erreichen konnte. Deshalb habe ich ihn gar nicht aufgefordert, hereinzukommen, sondern ihm höflich unter der Einfahrt eine gute Reise gewünscht.
Neben der Einfahrt, im Schatten des Hauses, stand ein Wagen, den ich erkannte. Daher nahm ich an, der Doktor und Mr. Witherspoon seien im Haus (sie verbringen oft ihre Abende zusammen im Laboratorium). Also, gerade im Augenblick des Abschiednehmens ist Gordon von dem unglücklichen Drang getrieben worden, mich zu bitten, die Führung dieser Anstalt aufzugeben, und statt
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