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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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aufgehoben und so geschickt in die Luft geworfen, als tue er das Tag für Tag, und sie schrie vor Entzücken und Begeisterung. Und als er dann Anstalten machte, sie wieder abzusetzen, ergriff sie ihn an der Nase und an einem Ohr und trommelte mit beiden Füßen einen Zapfenstreich auf seinem Bauch. Niemand kann Allegra vorwerfen, daß es ihr je an Vitalität gefehlt hätte.
    J. F. befreite sich aus ihren Liebkosungen und tauchte wieder auf, mit zerzaustem Haar, aber mit einem höchst entschiedenen Ausdruck um den festen Mund. Er stellte sie auf die Beine, behielt aber ihre kleine Faust in seiner Hand.
    „Das ist das Kind für mich“, sagte er, „ich glaube, ich brauche mich nicht weiter umzusehen.“
    Ich erklärte, daß wir Allegra nicht von ihren beiden Brüdern trennen könnten, aber je mehr ich erklärte, desto entschlossener wurde sein Kinn. Wir gingen in die Bibliothek zurück und stritten eine halbe Stunde lang hin und her.
    Er mochte ihre Vererbung, er mochte ihr Aussehen, er mochte ihr Wesen, er mochte sie. Wenn er schon eine Tochter aufgehalst bekommen mußte, wollte er eine mit Temperament. Er werde sich eher hängen lassen, als daß er das andere weinerliche kleine Ding nehme, das so unnatürlich sei. Aber wenn ich ihm Allegra überlassen wolle, werde er sie wie sein eigenes Kind aufziehen und dafür sorgen, daß sie bis an ihr Lebensende versorgt sei. Ob ich das Recht habe,
    ihr--nur aus sentimentalem Unsinn — das alles vorzuenthalten? Die Familie sei ohnehin schon auseinandergerissen; das Beste, was ich jetzt noch für sie tun könne, sei, einzeln für sie zu sorgen.
    „Nehmen Sie alle drei“, sagte ich kühn.
    Aber nein, daran könne er nicht denken, seine Frau sei leidend, mehr als ein Kind könne sie nicht bewältigen.
    Ich war also in einem fürchterlichen Konflikt. Es war eine solche Chance für das Kind, und doch schien es so grausam, sie von den zwei kleinen Brüdern, die sie anbeteten, zu trennen. Ich wußte, daß die Bret-lands, wenn sie sie gesetzlich adoptiert hätten, alles tun würden, um ihre Bindungen mit der Vergangenheit zu durchbrechen; und da das Kind noch so winzig ist, würde es die Brüder genau so schnell vergessen wie den Vater.
    Dann dachte ich an Dich, Judy, und wie bitter Du immer darüber warst, weil die Anstalt Dich nicht gehen ließ, als eine Familie Dich adoptieren wollte. Immer hast Du gesagt, daß Du auch ein Zuhause hättest haben können, genau wie andere Kinder, aber daß Mrs. Lippett es Dir geraubt hat. War ich nun im Begriff, der kleinen Allegra ihr Zuhause zu rauben? Mit den beiden Buben ist es ja sowieso anders; sie können ausgebildet werden und für sich selber sorgen. Aber für ein Mädchen würde ein Heim wie dieses alles bedeuten. Seit die kleine Allegra zu uns gekommen ist, kam sie mir wie dieselbe Art Kind vor, das Judy als Baby einmal gewesen sein muß. Sie hat Begabung und Mut. Wir müssen ihr irgendwie Bahn schaffen. Sie verdient auch ihren Anteil an den Schönheiten und den Gütern der Welt — soviel sie davon nach ihrer Natur aufnehmen kann. Und vermag eine Anstalt ihr das je zu bieten? Ich hielt durch und dachte nach, während Mr. Bretland ungeduldig auf und ab lief.
    „Lassen Sie mal die Buben herunterholen, damit ich mit ihnen rede“, drängte Mr. Bretland. „Wenn sie einen Funken Generosität haben, werden sie sie gehen lassen.“
    Ich ließ sie kommen, aber mein Herz war ein einziger Bleiklumpen. Sie sehnten sich noch so nach ihrem Vater. Es schien unbarmherzig, ihnen auch noch die süße, kleine Schwester zu entreißen.
    Sie kamen Hand in Hand, aufrechte, feine, kleine Kerle, standen aufmerksam und ernst da und hatten die großen, erstaunten Augen auf den fremden Mann gerichtet.
    „Kommt, Buben, ich will mit euch reden.“ Er nahm jeden bei der Hand. „In dem Haus, wo ich wohne, haben wir kein kleines Baby, deshalb haben meine Frau und ich beschlossen, hierher zu kommen, wo es so viele Babys ohne Vater und Mutter gibt, und eins als das unsrige mit nach Hause zu nehmen. Sie wird in einem wunderschönen Haus wohnen und viele Spielsachen haben, und ihr ganzes Leben sehr glückselig sein, — viel glücklicher als sie hier je werden könnte. Ich weiß, ihr werdet froh sein zu hören, daß ich eure kleine Schwester gewählt habe.“ „Und werden wir sie nie mehr sehen?“ fragte Clifford.
    „O doch, manchmal.“
    Clifford sah von mir zu Mr. Bretland, und zwei große Tränen liefen seine Wangen herunter. Er riß seine Hand los und warf

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