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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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unmoralisch, wenn ich auf ihren Backen eine Spur von rouge auflegte? Sie ist zu jung, um es sich zur Gewohnheit zu machen.
    Himmel! Was für ein Brief! Eine Million Seiten ohne Unterbrechung. Du siehst, wo sich mein Herz befindet. Ich bin über Klein-Sophiechens Lebensentscheidung so aufgeregt, als sei sie meine eigene Lieblingstochter.
    Respektvolle Empfehlungen an den Präsidenten.
    Sallie McBr.

    Lieber Gordon!
    Das war ein widerlicher, bösartiger, gemeiner Streich von Dir, mir vier Wochen lang keine erheiternde Zeile zu schreiben, nur weil ich Dich einmal in einer Periode anomaler Anspannung drei Wochen lang überging. Ich hatte wirklich angefangen, mir Sorge zu machen, ob Du vielleicht in den Potomac gefallen bist. Meine Kücken würden Dich schrecklich vermissen; sie lieben ihren Onkel Gordon. Vergiß bitte nicht, daß Du ihnen versprochen hast, ihnen einen Esel zu schicken.
    Bitte vergiß auch nicht, daß ich mehr zu tun habe als Du. Es ist viel schwieriger, das John-Grier-Heira zu leiten als das Haus der Abgeordneten. Außerdem hast Du tüchtigere Leute zu Hilfe.
    Dies ist kein Brief. Es ist ein empörter Protest. Ich schreibe morgen — oder übermorgen.
    S.

    PS. Beim Überlesen Deines Briefes werde ich ein bißchen besänftigt. Aber glaube nur nicht, daß ich alle Deine sanften Worte glaube, ick wet, dat Du mi anschmerst, wenn Du so bannig fin sehreven deihst.

    17. Juli.
    Liebe Judy!
    Ich habe eine Geschichte zu erzählen. Bitte erinnere Dich, daß heilte der besagte Mittwoch ist. Also wurde um halb drei unsere kleine Sophie gebadet und gebürstet und in sauberes Leinen gekleidet und in die Obhut eines zuverlässigen Waisenkindes gegeben, mit der besorgten Weisung, sie sauber zu halten.
    Um drei Uhr dreißig, auf die Minute — ich habe noch kein menschliches Wesen getroffen, das so verwirrend geschäftsmäßig ist wie J. F. Bretland —, hielt ein kostspieliges Auto ausländischer Machart vor den Stufen dieses eindrucksvollen Schlosses. Eine Person mit viereckigen Schultern, viereckigem Unterkiefer, einem abgehackten Schnurrbart und einer Art, die zur Eile auffordert, stellte sich drei Minuten später unter der Tür meiner Bibliothek vor.
    Er begrüßte mich frisch als „Miß MacKosh“. Ich korrigierte milde und er wählte „Miß McKim“. Ich deutete auf meinen beruhigendsten Lehnsessel und forderte ihn auf, nach seiner Fahrt eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen. Er nahm ein Glas Wasser an (ich bewundere Temperenzler als Eltern), und drang ungeduldig darauf, die ganze Sache hinter sich zu bringen. Also klingelte ich, auf daß die kleine Sophie heruntergebracht werde.
    „Halt, Miß McGee!“ sagte er, ,,ich möchte sie lieber in ihrer eigenen Umgebung sehen. Ich werde mit Ihnen in das Spielzimmer oder zur Pferch gehen, wo immer Sie die Kinder halten.“
    Also führte ich ihn ins Kinderzimmer, wo dreizehn oder vierzehn kleine Dinger in baumwollenen Spielhöschen sich auf Matratzen am Boden tummelten. Nur Sophie, im Triumph weiblicher Röcke, befand sich in den Armen eines höchst gelangweilten Waisenkinds. Sie zappelte und kämpfte, um herunterzukommen, und ihre weiblichen Unterröcke waren in einem festen Knäuel um ihren Hals gewunden. Ich nahm sie in den Arm, zog ihre Kleider glatt, wischte ihr die Nase und forderte sie auf, den Herrn anzusehen.
    Die ganze Zukunft dieses Kindes hing davon ab, ob sie fünf Minuten sonnig war. Und statt nur einmal zu lächeln, flennte sie.
    Herr Bretland hat ihr höchst vorsichtig die Hand geschüttelt und ihr zugezwitschert, wie man es mit einem jungen Hund tut. Sophie hat nicht die geringste Notiz von ihm genommen, sondern ihm den Rücken gedreht und ihren Kopf an meinem Hals vergraben. Er zuckte die Achseln und meinte, sie könnten sie wohl versuchsweise nehmen. Sie könnte seiner Frau ja liegen, er selbst wolle ja sowieso keines. Und wir wandten uns zur Tür.
    Was kommt aber nun mitten über seinen Weg gepurzelt, der kleine Sonnenstrahl Allegra! Genau vor ihm stolperte sie, schlug mit den Armen um sich wie ein Windrad und fiel auf alle viere. Er hupfte mit großer Geschicklichkeit auf die Seite, um nicht auf sie zu treten, dann hob er sie auf und stellte sie auf die Beine. Sie umfaßte sein Bein mit ihren Füßen und schaute mit einem glucksenden Lachen zu ihm auf.
    „Daddy, Baby hochwerfen!“
    Er ist, vom Doktor abgesehen, der erste Mann, den sie seit Wochen gesehen hat. Offenbar gleicht er ein wenig ihrem fast vergessenen Vater.
    J. F. Bretland hat sie

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