Lieber Osama
isst nicht richtig. Ich meine, er kann schon richtig reinhauen, aber vor allem bei Gemüse muss man genau wissen, wie er es mag, sonst rührt er es nicht an. Kinder eben.
Ich lachte, aber die Frau lachte nicht. Sie schaute nur zu Boden. Sie schluckte. Dann sah sie mich wieder an und schien auf einmal zwischen 500 und 600 Jahre alt zu sein.
- Es tut mir sehr leid, sagte sie, aber Ihr Mann und Ihr Sohn sind tot.
- Nein, das muss ein Irrtum sein. Sie werden noch vermisst. Wenn sie tot wären, hätte man mir das gleich gesagt.
Die Frau holte tief Luft und sprach ganz leise.
- Die Identifizierung hat einige Zeit in Anspruch genommen, sagte sie. Vor allem wegen des schlechten Erhaltungszustands der…
- Erhaltungszustand?
- Ja, ihre Leichen waren stark verkohlt. Die Identifizierung war auch nur aufgrund zahnärztlicher Unterlagen möglich.
Ich hatte mich aufgesetzt. Sah auf den grünen Vorhang rund um das Bett. Es war schön da drin. Wie in dem Zelt damals, als meine Mom mich zum ersten und einzigen Mal mit zum Camping genommen hat. Die Frau im Tweedkostüm drückte meine Schulter. Ich lächelte sie an.
- Zahnärztliche Unterlagen? Komisch, aber mein Junge ist immer gern zum Zahnarzt gegangen. War immer ganz aufgeregt wegen diesem besonderen Stuhl. Am Schluss hat der Doktor ihm jedes Mal eine Tube Zahnpasta mitgegeben. Und immer schön putzen, sagte er. Die Zähne brauchst du später noch.
Ich schaute die Frau an.
- Und er hat Recht behalten, oder? Ich meine, der Zahnarzt. Die Frau sah mich an.
- Sie stehen unter Schock, sagte sie. Es wird eine Weile dauern, bis Sie mit der Wahrheit umgehen können. Warten Sie, ich hole mir einen Stuhl, dann reden wir in Ruhe über alles.
- Gut. Er hatte nämlich so schöne Zähne, wissen Sie? Ich meine, mein Junge.
Doch als die Frau den Vorhang zurückzog, kam gerade Prince William durch die Tür, zusammen mit einem Fotografen, der ständig rückwärts ging, um ihn von vorn zu knipsen. Dazu ein Dutzend Leute in Anzügen, die ihm nicht von der Seite wichen.
- Oh, sagte die Frau im Tweedkostüm.
Sie trat einen Schritt zurück. Ich sah, wie sich Prince William im Krankensaal umschaute. Wie groß und gut aussehend er war. Da, wo ich herkomme, Osama, mag man die Royals, egal, was andere über sie sagen. Ich dachte auch gar nicht viel, höchstens: Hoppla, da ist ja Prince William. Ich lächelte ihn an, und er kam sofort auf mich zu und stand dann über mir. Also, die Augen hat er von seiner Mutter, dachte ich. Er wirkte größer als im Fernsehen, aber wir hatten ja auch immer nur ein kleines Gerät.
- Hallo, sagte er.
Auch er lächelte. MIT GEFASSTER ANTEILNAHME, wie am nächsten Tag in der Sun stand. Nämlich in der Unterschrift des Bildes, das der Fotograf vom Fußende meines Bettes aus machte.
- Wie fühlen Sie sich?, sagte Prince William.
Ich sah ihn an. Er hatte schöne Zähne, ganz weiß und ebenmäßig. Ich erinnerte mich, wie ich meinen Sohn immer auf den Rand des Waschbeckens gesetzt hatte, damit er sich selbst die Zähnchen putzen konnte. Das sind zwar nur die Milchzähne, Liebling, sagte ich, aber früh übt sich. Dann hast du später auch so schöne Zähne wie Mami. Bis heute kein Loch. Tja, früh geübt haben wir. Und hatten sogar Spaß dabei. Bloß wer hätte gedacht, dass seine Zähne eines Tages das Einzige sein würden, was von ihm übrig bleibt? Ich meine, so was stellt man sich doch gewöhnlich gar nicht vor, oder? Ich schaute zu Prince William hoch. Mir war klar, dass ich jetzt mit Reden dran war, aber ich konnte nicht. Ich spürte das Elend in mir hochkommen, und zwar körperlich. Prince William legte die Stirn in Falten. In gefasster Anteilnahme.
- Wie geht’s Ihnen, fragte er noch einmal.
Ich schob den Kopf über die Bettkante und kotzte ihm voll auf die Schuhe.
Und während er erschrocken zurücksprang, kam gleich der zweite Schwall hinterher. Es war, als kotzte ich mein ganzes Leben aus. Als auch der letzte Rest auf das grüne Linoleum gepladdert war, fühlte ich mich so leer. Prince William starrte mich an, während ihm einer seiner Leute die Kotze von den Schuhen wischte. Dabei machte er dieses seltsame Gesicht. Gar nicht mal sauer, sondern eher traurig und abwesend. Man konnte ihn förmlich denken sehen, okay, das gehört also alles zu meinem Reich. Zu meinem armen, zerbombten Königreich, und eines Tages sind all diese Leute meine Untertanen, und ich kann gar nichts für sie tun. Ich lebe in Palästen und hefte Rechtsanwälten und Architekten
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