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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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nicht dauernd auf die Titten zu starren, sage ich ihr auch, sie soll sie ins Wasser stellen.
    - Nicht nur Blumen, sagte Jasper Black. Sondern noch etwas anderes. Ich war mir nicht sicher, ob es das Richtige ist, ich will dich nicht noch mehr belasten.
    - Was ist es denn?
    - Ich hab mal meine Verbindungen spielen lassen, sagte er.
    Na ja, das ist ja auch mein Job. Jedenfalls kenne ich Leute bei der Polizei. Nach dem Anschlag wurden viele persönliche Gegenstände sichergestellt, auf die bis jetzt noch niemand Anspruch erhoben hat. Schmuck, kaputte Uhren und dergleichen. Ich habe sie gefragt, ob ich mir die Sachen mal ansehen darf. Ich suchte nach was Bestimmtem. Ich meine, du hast es mal erwähnt, und ich wollte es für dich finden, weil ich dachte, es könnte… es wäre dir vielleicht eine Hilfe… Kurz und gut, ich habe es gefunden, ich habe es dabei. Wenn du es nicht behalten willst, dann tut’s mir furchtbar leid, dann nehme ich es sofort wieder mit.
    - Was ist es?
    Natürlich ahnte ich es längst.
    Jasper Black zog Mr. Rabbit aus der Tüte und gab ihn mir. Es ist komisch, aber was man immer zuerst sieht, sind nie die großen Sachen, sondern die kleinen. Die Dinge, die man noch in Ordnung bringen kann. Ich nahm Jasper Black den Hasen aus der Hand und dachte: Oh, hallo, Mr. Rabbit, du bist im Krieg gewesen, nicht? Guck mal, du hast ein Pfötchen verloren. Aber ich weiß schon, wie wir dich wieder heil kriegen. Wir nehmen Nadel und Faden und nähen dich einfach zusammen, dann geht’s dir wieder gut, bloß dass der Arm ein bisschen kürzer ist, hm? Und danach kommst du in die Waschmaschine. Ich weiß, das magst du nicht, aber was sein muss, muss sein. Einmal durch den Kochwaschgang, und wir kriegen sogar diese hässlichen schwarzen Flecken raus. Komm, sei ein tapferes Häschen.
    Jasper Black starrte mich an.
    - Alles in Ordnung mit dir?, fragte er.
    Ich sah auf. Ich merkte, dass ich die ganze Zeit Mr. Rabbit angegrinst hatte. Ich holte tief Luft, aber die Leere in mir wuchs weiter.
    - Ich versteh das nicht. Wie kommt es, dass er nicht verbrannt ist?
    - Das hört sich jetzt vielleicht nicht schön an, sagte Jasper Black. Aber viele dieser Gegenstände haben die Detonation überstanden, weil sie unter den Leichen lagen.
    - Oh. Du meinst also, die schwarzen Flecken hier sind von meinem Jungen?
    - Das lässt sich nicht sagen. Besser, du denkst über solche Sachen gar nicht erst nach.
    Ich drückte den armen, zerfetzten Mr. Rabbit an mich und fing wieder an zu weinen.
    -Aber wie soll ich nicht darüber nachdenken? Sag mir, wie ich es schaffe, nicht daran zu denken, wenn das alles ist, woran ich überhaupt denken kann. Nicht mal eine Sekunde lang kann ich an was anderes denken, es ist furchtbar, furchtbar, furchtbar. Und dauernd diese Angstzustände. Ich sehe Leute, und im nächsten Moment sehe ich sie in tausend Stücke gerissen. Und wenn irgendwo ein Teelöffel hinfällt, klingt das wie eine Bombe. Ich weiß vor lauter Angst nicht, wie ich den nächsten Tag überstehen soll. Wie kann man in einer solchen Welt weiterleben?
    Jasper Black seufzte.
    - Die Leute suchen sich halt eine Beschäftigung, sagte er. Er drehte sich weg und blickte auf das dunkle London.
    - Schau dir das an, sagte er. Unter jedem dieser Lämpchen ist jemand, der sich mit irgendwas beschäftigt. Einige tragen jetzt gerade Peeling- oder Antifaltencreme auf. Andere verfassen Geschäftsberichte, von denen höchstens die letzte Seite gelesen wird. Und wieder andere brüten über der Frage, ob die Kondome größer werden oder ihr Schwanz kleiner. Was du da unten siehst, ist die wahre Frontlinie gegen den Terror. So halten die Leute das aus. Sie suchen sich was zu tun, damit die Angst sie nicht überwältigt. Und weißt du, was sie dann am liebsten tun? Heimwerken. Die erste Woche nach dem 1. Mai waren zwar die Flughäfen geschlossen, aber die Baumärkte hatten geöffnet. Ich meine, ist das nicht jämmerlich? Die Leute begraben ihre Furcht unter Terrassenplatten. Sie bekämpfen den Terror mit Fugenmasse.
    Ich wandte den Blick von der Stadt und sah ihn an.
    - Du hältst wohl nicht viel von den Menschen? Er zuckte die Achseln.
    - Ich bin Journalist.
    - Na gut, und ich bin ein Mensch. Nett, dich kennen zu lernen. Meine Wohnung riecht nach Fritten. Ich mache ganz normale Sachen wie Einkaufen und meine Familie in die Luft sprengen lassen. Aber sonst? Was weißt du schon über mich? Mir ist schleierhaft, was du von mir willst, Jasper Black. Macht wohl Spaß,

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