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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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mal unter sein Niveau zu gehen. Stehst du auf Asi-Sex? Vielleicht ist es dir noch nicht aufgefallen, aber ich bin halb tot und habe überall Schläuche stecken. Oder willst du mir wirklich helfen? Wenn ja, könntest du zuerst mal ein bisschen mehr Respekt vor den einfachen Leuten zeigen, denn zu denen gehöre ich zufällig.
    - Das ist jetzt nicht fair, sagte Jasper Black.
    -Ach ja? Schau mir in die Augen, und dann sag mir, dass du nur gekommen bist, um mir zu helfen. Ich glaube, du weißt nicht mal, was das heißt. Ich glaube, du bist egoistisch bis auf die Knochen. Ich sag dir mal was: ICH WOLLTE, DU WÄRST BEI DEM SPIEL GEWESEN, ICH WOLLTE, DICH HÄTTE ES ERWISCHT STATT MEINEN MANN UND MEINEN SOHN.
    Jasper Black stand auf und starrte mich an. Groß und bleich stand er vor den Lichtern von London und dem glutroten Sonnenuntergangshimmel.
    - Gut, sagte er. Okay.
    Er drehte sich um und ging durch den Mittelgang zur Tür. Aber das ertrug ich auch nicht, die Leere in mir heulte auf, schlug ihre Zähne in meinen Magen und ihre Krallen unter meine Haut. Ich schrie hinterher:
    - Nein, bitte geh nicht. Lass mich nicht allein. Es tut mir so leid, Jasper. Ich hab doch niemanden hier. Nichts und niemanden.
    Jasper Black blieb stehen, drehte sich aber nicht um. Er stand nur ganz still. Ich rief nicht mehr, sah auf seinen Rücken und fragte mich, was er jetzt tun würde. Alle Frauen auf der Station und alle Besucher glotzten uns an. Ihre kranken Augen gingen mitsamt den Köpfen zwischen ihm und mir hin und her, sodass es aussah, wie wenn sie bei einer Wimbledon-Übertragung das Publikum zeigen. Und es war deine Sorte Wimbledon, Osama, mit einem sterbenden Publikum, und in der Pause gab’s auch keine Erdbeeren.
    Jasper Black machte einen Schritt, dann noch einen, alles sehr langsam, aber hinausgehen sah ich ihn nicht, denn ich hatte Tränen in den Augen. Ich hörte nur die Schritte auf dem Linoleumboden schneller werden, hörte die große Glastür am Ende des Saals auf- und wieder zugehen. Erst war es mucksmäuschenstill im Saal, doch dann begann das große Oh und Ah. So krank die Weiber waren, lästern konnten sie noch. Ich hielt mir die Ohren zu, um die blöden Kühe nicht hören zu müssen, aber das klappte nicht, also fing ich wieder an zu schreien, damit sie die Klappe hielten. Kurz darauf kam ein Arzt und gab mir eine Spritze. Dann lag ich ganz ruhig da und sah nur noch den roten Schimmer hinter meinen Augenlidern.

D OCH AM NÄCHSTEN A BEND kam Jasper wieder. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich grinste bis über beide Ohren. Er brachte mir Pralinen mit, und eine Zeit lang saßen wir wortlos, aßen die Pralinen und schauten auf London hinaus.
    - Jasper, tut mir leid, dass ich gestern so einen Aufstand gemacht habe.
    - Schon gut, sagte er. Ich hab dich auch ziemlich von oben herab behandelt.
    - Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich fremdgegangen bin. Und das ist auch jetzt noch so.
    Jasper zog ein Gesicht.
    - Ach komm, sagte er. Du hast die beiden eben geliebt. Das stand nie außer Frage, und das zwischen uns hatte nichts da mit zu tun. Außerdem warst du völlig verängstigt und brauch test ein bisschen menschliche Wärme. Wir alle haben doch mal Angst.
    - Du nicht, Jasper.
    - Ich ganz besonders, sagte er.
    - Und wovor? Wovor sollte sich jemand wie du fürchten?
    - Vor den gleichen Sachen wie alle, sagte er. Dem Alleinsein zum Beispiel.
    - Und was ist mit deiner Freundin?
    Petra?, sagte er. Ich will dir mal eine Geschichte über Petra erzählen. Als wir an dem besagten Samstag getrennt wurden, habe ich noch eine Weile nach dir gesucht, aber irgendwann gab ich auf und fuhr in die Redaktion. Die Frontpartie des Wagens war zwar ziemlich hinüber, aber er lief noch. Auf dem Weg habe ich mich die ganze Zeit gefragt: Warum ruft Petra nicht an? Sie weiß doch, dass ich bei dem Spiel bin. Warum meldet sie sich nicht, um zu sehen, wie es mir geht? Also rief ich sie an, aber es war dauernd besetzt. Erst dachte ich, vielleicht ist ja das Netz überlastet. So weit, so gut. Ich komme also ins Verlagshaus, und dort herrscht das totale Chaos. Also, das Letzte, was eine Sonntagszeitung braucht, sind aktuelle Ereignisse. Während der Woche geht das ja noch, aber am Samstagnachmittag? Und dann auch noch so ein Riesending. Jedenfalls ging dort alles drunter und drüber. Sie hatten beschlossen, die geplante Ausgabe vollkommen in die Tonne zu treten und stattdessen mit nur vier Seiten herauszukommen. Jeder, der es irgendwie ins

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