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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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sagte meine Großmutter. Ein einziges Flammenmeer. Aber wir haben uns durchgebissen. Wir haben auf dem Schutt was Neues aufgebaut. Wir haben Wohnsilos geschaffen und den Nationalen Gesundheitsdienst. Wir waren nicht kaputtzukriegen – wie die Zombies aus Tanz der Teufel.
    Du hast London wehgetan, Osama, aber du hast uns nicht umgebracht, denn das kannst du gar nicht. London ist viel zu arm und viel zu blöd, um zu wissen, wann es erledigt ist. Und als ich an diesem Morgen sah, wie hinter den Docklands die Sonne aufging, war mir klar: Ich bin London, Osama. Ich bin die ganze Welt. Du kannst mich bombardieren, wie du willst, du kleiner, einsamer Wicht, aber ich baue mich immer wieder neu auf, größer und stärker als vorher. Du kannst mich keines Besseren belehren, dafür bin ich zu blöd. Ich bin eine Frau, die sich auf ihren Trümmern immer neu erschafft.
    Und ich sah auf dieses London, das sich unter mir ausbreitete, und wusste, es war Zeit, sich wieder ins Leben zu stürzen.
    E RST MAL GING ICH mit einer Krücke. Ein schmieriger Aluminiumstock mit einem grünen Plastikgriff. Klack-klack-klack machte es auf dem Bürgersteig, denn der weiße Gummifuß war schon ganz weggerubbelt. Und so klackte blankes Metall zischen den schwarzen Kaugummiplacken und den weißen Taubenschissklecksen. Ich hoffte immer, der Stock würde darauf nicht wegrutschen, denn dann hätte ich mich auf die Fresse gelegt. Klack-klack-klack ging ich vom Guy’s Hospital die St. Thomas Street entlang.
    Körperlich war ich so weit geheilt. Mr. Rabbit und 2 Fläschchen Valium hatte ich in einer Asda-Tüte dabei. Es war nicht warm, es war nicht kalt. Es ging kein Wind, und der Himmel hing niedrig und grau, aber regnen tat es auch nicht. Es war, als wäre ihnen jegliches Wetter ausgegangen. Ich trug meine weiße Adidas-Jogginghose. Weiße Puma-Turnschuhe. Ein rotes Nike-Shirt mit dem großen weißen Nike-Häkchen. Ich hätte irgendwer sein können. Das war ein großer Trost. Ich hatte Jasper gebeten, mir die Sachen von zu Hause mitzubringen. Ich hatte ihm den Zweitschlüssel zur Wohnung gegeben. Klack-klack-klack.
    Mit der Krücke zu gehen war anstrengend. Ziemlich bald war ich erschöpft und außer Atem. Ich hatte ja 8 Wochen nur gelegen. An einer Bushaltestelle setzte ich mich auf die orangene Plastikbank. Mir wurde schwindlig, wenn ich sah, wie die Leute vorbeihetzten. Ich atmete schwer und schaute auf meine Puma-Turnschuhe. Auf meiner Krücke war mit Tesa ein Schildchen befestigt: EIGENTUM DES GUY’S HOSPITAL stand darauf, ZUR AUSSCHLIESSLICHEN BENUTZUNG AUF KRANKENHAUSGELÄNDE. Ich zog das Schildchen ab. Ich war auf dem Weg zur Polizei, und die soll man nicht provozieren. Ich rollte das Schildchen zu einer Kugel und sah mich nach einem Abfalleimer um, aber es gab keinen. Sie hatten sie alle entfernt, damit niemand sie als Bombenversteck missbrauchte. Es gab keine Abfalleimer mehr und keine Muslime mit Job. Wir lebten alle schon viel, viel sicherer.
    Ich warf die Schildchen-Kugel auf die Erde. Neben mir auf der Bank saß eine Oma. Wie gesagt war es nicht kalt, aber trotzdem trug sie einen dicken Pelzmantel. Die Art Pelzmantel, für die man bei Harrods 10000 Ocken hinlegen muss – oder fünf im Secondhandshop des Kinderhilfswerks. Sie fauchte wie eine Katze, als ich das Papierchen hinwarf Sie trug violetten Lippenstift.
    - Ich darf doch bitten, sagte sie.
    Ich sah sie an und hatte wieder diese Vision. Wie diese Oma aussehen würde, wenn neben ihr die Bombe explodiert wäre. Das halbe Gesicht weggebrannt, sodass man ihr künstliches Gebiss sehen kann, das locker in der Mundhöhle klappert. Klack-klack-klack.
    - Entschuldigung.
    Ich hob das Papier auf und steckte es in die Tasche.
    - Na also, sagte sie. Es geht doch. Warten Sie auf den 705er?
    - Ich weiß nicht. Ich ruhe mich nur etwas aus. Ich bin völlig fertig.
    - Wohin müssen Sie denn?, fragte die Oma.
    - Scotland Yard. Ich muss da mit jemandem sprechen.
    - Ach du liebe Güte, sagte sie. Ich hoffe, Sie stecken nicht in Schwierigkeiten.
    Sie rutschte ein Stück von mir weg, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.
    - Nein, das nicht. Ich muss einen Polizisten sprechen, der früher mal der Vorgesetzte meines Mannes war. Mein Mann und mein Junge sind nämlich beide bei dem Attentat gestorben. Alles, was man von ihnen gefunden hat, sind ihre Zähne und Mr. Rabbit. Möchten Sie Mr. Rabbit mal sehen?
    - Nein, vielen Dank, sagte die Oma. Aber das wird schon wie der, das Leben geht weiter.
    Sie sah

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