Lieber Osama
Adidas-Hose zu den anderen Sachen auf dem Boden und sah dann nach, was eigentlich noch übrig war. Naserümpfend hielt sie den braunen H&M-Rock hoch.
- Na gut, sagte sie. Der hier geht noch für werktags, aber er zähl bloß niemandem, ich hätte dir das erlaubt.
Ich lächelte.
- Guck dich doch mal an. Du sähst gar nicht so schlecht aus, wenn du dir mit deinen Klamotten etwas mehr Mühe geben würdest.
- Klar, aber mit Kindern kannst du das vergessen. Ich meine, wenn du dauernd mit Schoko-Eis bekleckert wirst.
Petra fasste mich am Handgelenk und legte ihre andere Hand auf meine Wange. Sie schwankte so stark, dass sie mir dabei sehr nahe kam.
- Verstehe ich ja, sagte sie. Aber du hast keine Kinder mehr, oder?
- Okay, das reicht. Jetzt leg dich erst mal hin.
Ich schob sie zum Bett, und sie fiel flach mit dem Gesicht drauf, wobei ihre Stiefel über das Fußende hinausragten. Stöhnend schloss sie die Augen, ihre Stimme kam schleppend.
- Ich bin überhaupt nicht müde, sagte sie. Ich will mich nur ein Minütchen hinlegen.
- Genau, ruh dich ein bisschen aus, dann bist du bald wieder fit.
- Was war nun eigentlich gestern Abend mit Jasper?, sagte sie.
- Warum fragst du nicht ihn?
- Warum sagst du es mir denn nicht?
Ich zuckte die Achseln und schaute aus dem Fenster. Ich sah diese weißen Schönwetterwolken hoch über den Sperrballons. Eine ganze Schar von ihnen zog über den strahlend blauen Himmel ostwärts Richtung Stratford, und es schien, als wollten sie den ganzen Tag so weiterwandern. So als Wolke hatte man keine Sorgen. Man brauchte sich bloß treiben zu lassen, bis die Stadt irgendwann verschwunden war und man nur noch über muhende Kühe und Butterblumen hinwegflog. Und wenn man schließlich die Flussmündung und die vielen Möwen unter sich sah, driftete man wahrscheinlich einfach weiter, hinaus auf die glatte graue See.
Als ich mich umdrehte, war Petra eingeschlafen, den Kopf auf die flachen Hände gebettet. Ich streifte ihr die Stiefel ab, und sie murmelte was im Schlaf, was sich anhörte wie: Ich sagte doch, keine Anchovis im Salat. Ich rieb mir die Augen. Mein Kater zog mich runter wie ein Betonklotz, den sie dir an den Fuß binden, wenn sie dich im Wasser versenken wollen. Ich legte mich neben Petra aufs Bett und sah ihr beim Schlafen zu. Sah ihr zerknittertes Gesicht auf den Händen. Dann schlief auch ich ein, und in meinem Traum trieb ich über die Flussmündung hinaus aufs weite Meer. Als ich aufwachte, hatte es sich draußen zugezogen, Petra schlief immer noch und hielt sich leicht an meinem Handgelenk fest. Ich blieb so, um sie nicht zu wecken, und dabei muss ich wohl wieder eingeschlafen sein, denn als ich abermals die Augen aufmachte, war der Himmel draußen dunkel und das Bett neben mir leer.
Es REGNETE 6 T AGE LANG . Ganz London befand sich im Spülwaschgang, überall Wasser. Die Central Line soff ab, auf der Bethnal Green Road stand Wasser, so schlammig wie das der Themse, und die Tauben saßen nass und schmollend vor den Hauseingängen und flogen nicht mal weg, wenn man sich ihnen näherte. Es war eben Sommer, Osama, was soll ich sagen?
Ich ging im Regen zur Arbeit und kam im Regen zurück. Das wiederholte sich die ganze Woche. Jeder Tag glich dem zuvor, außer Mittwoch, da kam Gewitter dazu, und Donnerstag, da war es Platzregen. In meiner Wohnung lösten sich die Tapeten von der Wand, und einkaufen wollte ich auch nicht, also aß ich, was ich im Kühlschrank hatte, und als auch der leer war, wich ich auf 5-Minuten-Terrinen aus.
Am Freitag ging ich mit Terence Butcher in den Pub, aber es war nicht mehr dasselbe. Die Leute im Approach schmollten wie die Tauben. Außerdem hatte ich mich so an die 5-Minuten-Terrinen gewöhnt, dass selbst der GT wie Minestrone schmeckte. Und Terence laberte mich derart zu mit seinem Wohnwagenkram, dass ich irgendwann sagte: Kannst du nicht mal eine Pause einlegen? Danach stritten wir uns, und ich zerdepperte mein Glas auf dem Tisch und ging schließlich durch den strömenden Regen allein nach Haus, wobei ich bis auf die Knochen nass wurde. Zu Hause angekommen, haute ich mich nur in Unterwäsche aufs Sofa, machte aber nicht mal die Glotze an, sondern horchte nur auf den Regen auf der Straße.
Als ich aufwachte, lag ich noch immer auf dem Sofa. Aber von draußen kam dieses unglaublich gleißende Licht herein, dass ich erst glaubte, so was in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen zu haben. Nach einer Weile dämmerte mir, es war die Sonne, und ich
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