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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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vieles, was ich eigentlich nicht soll. Ich soll vor anderen Leuten kein Theater machen. Ich soll meinem Freund nicht erlauben, meine ärgste Rivalin zu vergewaltigen. Ich soll besagte Rivalin auch nicht verprügeln und ihre Wohnung verwüsten. Also, ich würde sagen, dagegen sind ein paar Klamotten eher eine lässliche Sünde, findest du nicht?
    - Ich weiß nicht, aber ich konnte dir auch nicht so recht folgen.
    - Anders ausgedrückt: Ich bin Petra Sutherland. Ich kann verdammt nochmal tun und lassen, was ich will.
    Petra kicherte, und der Taxifahrer seufzte.
    - Ob Sie sich bitte mal entscheiden könnten? Fahren wir jetzt zu Harvey Nichols oder nicht?
    - Aber immer, sagte Petra. Harvey Nichols ist nie verkehrt. Die Fahrt nach Knightsbridge zog sich ein bisschen hin, und das war auch gut so. Immerhin ist es eine andere Welt. Eigentlich ist es schon ein Unding, dass man überhaupt einfach so mit dem Taxi von Bethnal Green nach Knightsbridge kommt, ein Raumschiff wäre das Mindeste. Petra meckerte die ganze Zeit an dem Fahrer herum, warum es denn so lange dauerte und so, aber er konnte nichts dafür. Alle Straßen, die wir nehmen wollten, waren gesperrt. Tja, Osama, es sah ganz so aus, als wollten die Behörden dieses Landes verhindern, dass deine Leute auch nur in die Nähe der großen Modehäuser kommen. Deshalb werdet ihr wohl vorerst weiter mit den Tarnklamotten vorlieb nehmen müssen, auch wenn es ein bisschen 90er-mäßig aussieht. Petra und ich dagegen machten einen großen Umweg.
    - Mein Gott, sagte sie. Warum fahren Sie denn nicht noch weiter nach Norden? Ich glaube, ich habe da gerade die ersten Eisberge gesehen, aber ich würde es gern genau wissen.
    - Schon gut, Gnädigste, jetzt machen Sie sich mal nicht gleich ins Hemd.
    Als uns das Taxi vor Harvey Nichols absetzte, zahlte Petra genau das, was auf dem Taxameter stand. Ich hatte noch nie ein Taxameter auf über 50 Pfund gehen sehen, mir wurde ganz blümerant. Petra dagegen schien das völlig kalt zu lassen. Während sie den Fahrer bezahlte, stand ich auf dem Bürgersteig und versuchte, mich unsichtbar zu machen. Die Straßen waren fast trocken, und es war ein wunderschöner Sommermorgen. Überall in Knightsbridge kamen die Prada-Schnepfen raus wie Wüstenblumen nach dem Regen. Ich fiel auf wie ein roter Hund. Dir, Osama, wäre es nicht anders gegangen, sogar ohne Bart und AK47. Ich meine, selbst dann wärst du noch immer der Einzige gewesen, der keine teuren Lederschuhe trug oder einen Hermes-Pullover.
    Aber dann fiel mir ein, dass vielleicht genau das dein Geheimnis war. Vielleicht suchten ja alle bloß am falschen Ort nach dir. Vielleicht saßest du ja gerade irgendwo in Knightsbridge, etwa draußen vor dem Starbucks mit einem Frappucino, trugst ein kariertes Barbour-Hemd und eine beigefarbene Leinenhose und rauchtest eine Marlboro Light. Und vielleicht sagte das Mädchen am Nebentisch sogar: Ich wette, das hören Sie andauernd, aber Sie sehen aus wie Osama Bin Laden ohne Bart. Und vielleicht sagtest du darauf: Ja, das nervt schon ein bisschen, aber wo wir gerade dabei sind, haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo man hier in der Nähe einen vernünftigen Batzen Semtex bekommt?
    Petra sagte irgendwas. Sie schien sauer auf mich zu sein. Wahrscheinlich weil ich mal wieder in meine eigene Welt abgetaucht war.
    - Komm, sagte sie. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Und die Sachen suchen sich nicht von selbst aus.
    Ich folgte ihr ins Innere von Harvey Nichols. Ein alter Mann in grauem Frack und Zylinder hielt uns die Tür auf.
    - Danke, Tom, Sie sind ein Schatz, sagte Petra.
    - Ist mir wie immer ein Vergnügen, Madam, erwiderte der Angesprochene.
    Er musterte meine Kleidung und rümpfte die Nase. Wir gingen rein, und mit einem Mal war der Verkehrslärm ausgeschlossen. Es roch eigentlich nicht vornehm bei Harvey Nichols, es roch nach sämtlichen Parfüms der Welt zugleich und machte einen kratzigen Hals. Mit meinem Jungen war ich mal bei John Lewis gewesen, und in der Parfümerie dort hatte es ganz ähnlich gerochen. Iiiih, Mami, hatte mein Junge gesagt, es riecht schön und fies in einem. Es riecht nach Engelsfußen.
    Ich folgte Petra mit gesenktem Kopf. Wir durchquerten schnurstracks das gesamte Erdgeschoss, wo es nur Parfüm und Designer-Katastrophenschutzzeug wie den Louis-Vuitton-Notfallkoffer oder Gasmasken von Kenzo mit dazu passendem Kopftuch gab. Erst auf der Rolltreppe drehte sich Petra nach mir um und schaute mich an.
    - Nun gut, sagte sie. Ich erklär

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