Lieber Osama
wohl, da läuft gleich ein wütender Mob zusammen und stürmt mir die Bude. Aber da kannte sie unsere Siedlung schlecht, denn so was passiert nur in der Daily Mail. Hier bei uns geht den Leuten ja schon die eigene Scheiße am Arsch vorbei. Und die der Nachbarn erst recht.
Ich ging ins Schlafzimmer und zog ein weißes T-Shirt und eine weiße Jogginghose an. Ich legte mich aufs Bett, bis sich der Radau im Flur gelegt hatte. Dann ging ich wieder hin. Petra saß auf dem Fußboden an der Wand, hatte aber den Fuß noch immer in der Tür. Ihr Kopf lag auf ihren Knien.
- Bist du jetzt fertig? Hast du dich beruhigt?
Petra hob den Blick. Ihre Augen waren rot und verquollen, schwarze Mascaraspuren liefen ihr übers Gesicht. Für mich ein kleiner Schock, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie überhaupt imstande war zu fühlen. Schließlich ging auch noch das Minutenlicht aus, im Flur wurde es dunkel; trotzdem taten wir erst mal nichts, als uns durch den Spalt in der Tür anzustarren. Petra schniefte.
- Meinetwegen, dann komm rein.
Ich löste die Kette und öffnete die Tür. Petra hob abrupt den Kopf, schaute mich an.
- Komm rein, bevor ich es mir anders überlege.
Sie wollte sich beim Aufstehen am Boden abstützen, sah aber, wie dreckig der Flur war, und streckte ihre Hand aus. Ich nahm sie und zog Petra hoch. Sobald sie stand, ließen wir beide so schnell wie möglich los.
- Ich muss mich saubermachen, sagte Petra.
- Klar. Du weißt ja wohl, wo das Bad ist, oder?
Ich ging derweil in die Küche und wusste erst nicht, was ich mit mir anstellen sollte, also räumte ich sämtliche Kaffeebecher aus dem Schrank und stellte sie von links nach rechts und nach Regenbogenfarben geordnet wieder zurück, den Henkel immer schön nach vorn außer bei dem einen mit zwei Henkeln. Ratlos stand ich noch mit dem Becher da, als Petra in die Küche trat. Sie hatte die verschmierte Mascara abgewaschen, und ohne Make-up wirkte ihr Gesicht sehr weiß und neu. Ich hielt den doppelhenkligen Becher hoch.
- Kaffee?
Petra warf nur einen kurzen Blick auf den Instant-Kaffee auf der Arbeitsplatte.
- Ich glaube, ich nehme lieber einen Wodka. Du hast doch noch welchen da?
-Klar. Ich wusste bloß nicht, dass du schon am Morgen trinkst.
- Für mich ist es noch immer Abend, sagte Petra. Ich habe kein Auge zugetan.
Ich schenkte ihr einen Wodka ein. Mir wurde schon vom Zusehen schlecht, aber Petra kippte ihn in einem Zug hinunter und hielt mir das leere Glas hin.
- Brrr, sagte sie. Noch einen.
Ich schenkte nach, und wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns an die entgegengesetzten Enden des Sofas. Durch die Gardinen sah Petra auf die Straße hinunter. Genau wie am 1. Mai drehten die 3 Kids auf ihren BMX-Rädern wieder ihre engen Runden. Der Anblick machte mich fickrig.
- Das Verrückteste an der ganzen Geschichte ist, dass mir Jas per früher nie wirklich was bedeutet hat, sagte Petra. Erst seit mir klar wurde, dass er mir entgleitet.
Ich sagte nichts.
- Das ist natürlich schlimm, sagte sie. Erst dann etwas für einen Menschen zu empfinden, wenn man kurz davor steht, ihn zu verlieren. Das kommt dir sicher schrecklich egoistisch vor.
- Keine Ahnung. Ich meine, dazu reicht meine Vorstellungskraft nicht.
Petra lächelte. Sie sah noch immer aus dem Fenster.
- Du bist auch nicht immer die Gesprächigste, oder?, sagte sie.
Ich zuckte nur die Achseln, was sie aber nicht sah, da sie mir weiter den Rücken zukehrte. Ich saß da und hielt mir ein Sofakissen vor den Bauch, weil mich gerade eine neue Übelkeitswelle packte. Wenn einem schlecht ist, soll man sich möglichst nicht auch noch bewegen.
- Seit dem 1. Mai ist es zwischen Jasper und mir nicht mehr dasselbe, sagte Petra. Ich weiß gar nicht, wem ich dafür mehr Schuld geben soll, dir oder Osama Bin Laden. Ich weiß gar nicht, wer von euch beiden der Schlimmere ist.
- Klar. Und hast du mal mit Jasper darüber gesprochen?
- Jasper ist derzeit nicht in der geeigneten Verfassung. Er hat es ziemlich übertrieben. Man kann kaum mit ihm reden.
- Vielleicht solltest du’s trotzdem mal probieren.
Petra sah weiter aus dem Fenster. Man konnte sehen, wie sich ihr Körper vor Wut verkrampfte, und als sie antwortete, bebte ihre Stimme.
- Jetzt reicht’s, sagte sie. Du hast es gerade nötig, mir zu erklären, was ich zu tun oder zu lassen habe. Wer hat denn Jasper erst in diesen Zustand gebracht? Du bist doch diejenige, die ihm dauernd nachrennt mit deinem hübschen kleinen Knackarsch und
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