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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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dir mal kurz, wie das hier läuft. 1. und 2. OG sind die, die uns angehen. Vergiss den 3. Stock, der ist schrecklich. Im 1. OG sind die Designer-Klamotten. Alexander McQueen, Bottega, Veneta, Dries Van Noten. Diese Sachen trägt eigentlich kein Mensch, aber sie sind wichtig, weil sie dem Leben einen Hauch von Geheimnis verleihen. So ähnlich wie Moms Schminke früher. Du darfst sie ansehen, aber um Gottes willen nicht anfassen. Die tragbaren Sachen sind alle im 2. Stock. Und da wären wir.
    Wir traten von der Rolltreppe.
    - Und nicht vergessen, es soll Spaß machen, sagte Petra. Such dir aus, was immer du willst.
    Ich folgte ihr durch das ganze Stockwerk. Sie sah so glücklich aus, wenn sie mit der Hand über dieses oder jenes Teil streichen konnte, wenn sie stehen blieb, ahhh machte und sich freute wie ein Gärtner, dessen Blüten schön aufgegangen sind. Ich selbst kam mir ein bisschen verloren vor. Das Problem bei Harvey Nichols war nämlich, dass man nicht so genau wusste, wozu die Sachen eigentlich gut waren. Nichts sah so aus, dass man einfach hätte sagen können: Guck mal, das ist aber eine schöne Hose. Versteh mich nicht falsch, es waren traumhafte Sachen, aber eben mit jeder Menge Chichi und Spitzenborte dran und Dingen, von denen man erst mal rausfinden musste, wie sie zugehen, bevor das Zeug zu einem richtigen Kleidungsstück wurde. Die Labels halfen da auch nicht viel weiter. Darauf standen nämlich Worte wie PHILOSOPHY, THEORY oder IMITATIONS OF CHRIST. Das klang weniger nach Kleidung als nach den Dingen, wegen denen ich es nicht in die Sekundarstufe geschafft habe. Petra grinste.
    - Jetzt mach mal ein fröhliches Gesicht. Lieber Helmut Lang tragen als Trauer.
    Ich ging weiter. Ich war jetzt schon in Panik, dass Petra mir was zum Anprobieren geben würde, und ich wüsste nicht, wie es geht. Da nehme ich doch lieber ein Kappa-Shirt, Osama, da weiß man, was man hat, und braucht keinen Doktorgrad, um zu wissen, wo man den Kopf durchstecken muss.
    Ich hatte es aufgegeben, weiter nach irgendwas zu suchen. Es war viel interessanter, die anderen Kundinnen zu beobachten – durchweg die Art Frau, die lieber tot umfallen würde, als ohne ihr Prada-Handtäschchen oder ihre Chanel-Sonnenbrille gesehen zu werden. Eigentlich schlägst du selber ja auch ein bisschen nach denen, Osama. Dich sieht man ja auch nie ohne deine AK47 und den dazu passenden Patronengürtel. Ich nehme an, Allah weiß gute Accessoires zu schätzen.
    Trotzdem machten mich diese Luxusweiber fickrig. Das einzige Accessoire, das ich hatte, war Mr. Rabbit. Er ging mittlerweile überallhin mit. Ich legte Petra die Hand auf den Arm, und sie blieb stehen und drehte sich um.
    - Hör mal, Petra. Ich weiß gar nicht, wonach ich hier suchen soll. Das letzte Mal shoppen war ich bei H&M. Du musst mir schon ein bisschen helfen.
    Petra lachte.
    - Nee, ne?, sagte sie. Du bist mir vielleicht eine. Na gut. Wenn ich dich so ansehe, denke ich: weiße Hose von Helmut Lang und ein Tunic-style-Top, etwa von Celine. Und ein Paar hübsche Riemchenpumps. Ach ja, und eine Handtasche. Hier lang, mir nach.
    Im nächsten Moment war Petra weg, fegte zwischen den Kleiderständern hin und her und schnappte sich im Vorbeigehen alle möglichen Sachen. Sie wusste eben, was sie wollte, und hörte auch nicht auf, bis sie den Arm voll hatte. Sie war ganz aus der Puste.
    - So, sagte sie. Und jetzt schauen wir mal, wie sie an dir aus sehen.
    Wir gingen zur Anprobe. Die Mitarbeiterin dort lächelte bloß und suchte uns eine freie Kabine. Anscheinend hatte sie gar keine Angst, ich würde hier was klauen und mit einer Hermes-Hose unter der von Adidas wieder rausspazieren. Wahrscheinlich kommen Leute wie ich bei Harvey Nichols eher selten vor. Die Umkleidekabine war ziemlich groß, und Petra ging mit rein. Nein, eng war es dort wirklich nicht. Petra schloss die Tür hinter uns.
    - So, sagte sie. Fangen wir mit den Hosen an. Ich sah sie nur an.
    - Was ist?, sagte sie.
    - Ich soll mich hier vor dir ausziehen? Und du guckst zu? Petra verdrehte die Augen.
    - Herrje, sagte sie.
    Sie drückte mich auf eine Bank und kniete vor mir nieder, um mir die Pumas auszuziehen. Dann auch meine Jogginghose, das Ganze ziemlich so wie eine Mom, die ihr Kind für den Schwimmunterricht umzieht. Als sie meine alten grauen Höschen sah, erstarrte sie förmlich, ließ demonstrativ den Kopf hängen und seufzte laut.
    - Ach du Schreck, sagte sie. Momentchen, ich bin gleich wie der da.
    Als sie weg war, stand ich

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