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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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auf und betrachtete mich im Spiegel. Ein komisches Gefühl, denn so was war ich nicht gewöhnt. Ich glaube, ich hatte einfach nie die Zeit dafür. Und jetzt, nach all den Klasseweibern ringsum, war das schon ein Schock. Ich sah aus wie von ganz hinten im Schrank hervorgezerrt. Und schämte mich dafür. Seltsam, was eine Bombe so alles anrichten kann, Osama. Mein Aussehen war mir bisher immer egal gewesen, aber jetzt wurde ich allein von meinem Anblick rot. Ich starrte auf den Teppichboden.
    Kurz darauf kam Petra zurück, in der Hand einen ganzen Haufen ziemlich teuer aussehender Wäsche. Sie schloss gleich wieder die Tür.
    - Auf ein Neues, sagte sie. Hier, such dir was aus und probier es an, BH und Höschen. Du wirst bemerken, dass alles weiß und schlicht gehalten ist. Das ist Absicht. Lektion 1: Der Künstler beginnt mit einer leeren Leinwand.
    Wir sahen uns an.
    - Okay. Aber nicht gucken.
    - Großes Ehrenwort, sagte Petra.
    Sie drehte sich weg und hielt sich die Augen zu. Ich zog meine Unterhose aus und spürte den kalten Luftzug auf meiner Haut. Mein Magen verkrampfte sich, ich fühlte mich, als würde ich in einen Abgrund stürzen. Ich zog mein Nike-Top und den BH aus und ließ sie auf den Teppichboden fallen. Ich bekam eine Gänsehaut. Es war sehr still in der Kabine. Man konnte Petras Atem hören und das Summen der Deckenspots. Einen Moment lang stand ich nur so da, dachte an gar nichts. Dann zog ich einen von den neuen weißen Slips an und einen BH. Keine Ahnung, ob sie überhaupt zusammenpassten, es war mir auch egal. Ich schluckte. Mein Herz pochte.
    - Okay, du kannst dich wieder umdrehen.
    Petra drehte sich um, betrachtete mich von Kopf bis Fuß.
    - Hmmm, sagte sie.
    Ich wurde abermals rot, verschränkte die Arme vor dem Bauch und drückte die Knie zusammen.
    - Hey, entspann dich, sagte Petra. Ganz ruhig durchatmen. Das sieht doch schon sehr gut aus.
    Mir gefiel schon die allererste Hose, die Petra mir gab. Hellweiß und ganz seidig. Sie fühlte sich toll an auf der Haut, so, als würde man in kalter Milch baden. Petra grinste, als sie mich darin sah.
    - Herr im Himmel, sagte sie. Ich wusste es, ein Rohdiamant. Von jetzt an werden wir uns vor Kerlen kaum noch retten können.
    Als Nächstes probierten wir die Riemchenpumps. Das Paar, das wir schließlich aussuchten, war von Fendi. Ehrlich, es machte mich gleich zwanzig Zentimeter größer. Für obenrum war es allerdings nicht ganz so leicht, was Passendes zu finden. Ich musste vier verschiedene Tops anziehen, ehe Petra eines gefiel. Es war von Hermes und kostete ungefähr so viel, wie ich in 2 Jahren für meinen Jungen ausgegeben hätte, kein Witz. Ich zeigte Petra das Preisschild.
    - Guck mal hier, das kann doch nicht stimmen.
    - Wieso?, sagte Petra. Die haben in diesem Jahr mit ihren Klamotten 100 Millionen gemacht. Und weißt du auch, warum? Weil ihnen magische Kräfte innewohnen. So gesehen ist das fast schon preiswert.
    - Ach so.
    Ich lachte, aber dann drehte ich mich um und besah mich im Spiegel. Und es verschlug mir die Sprache. Das war doch nicht möglich. Ich sah aus wie ein Model auf dem Cover eines Hochglanzmagazins. Ich war groß und schön, und alles, was ich in diesem Moment denken konnte, war: HA! Das ist jetzt aber was anderes als dein blöder Wohnwagen, Terence Butcher. Ich sah mich an, starrte und starrte und konnte mich gar nicht mehr losreißen. Ich war dermaßen glücklich, dass ich anfing zu heulen. Ich sah, wie mir die Tränen übers Gesicht liefen, und dachte nur: O Gott, vielleicht ist es ja wirklich möglich. Vielleicht habe ich ja auch mal Glück.
    - Sieht gut aus, nicht?
    Petra trat von hinten an mich heran, legte ihr Kinn auf meine Schulter und die Hände an meine Hüfte und grinste mich im Spiegel an.
    - Und hiermit schlagen wir ein neues Kapitel auf. Gemeinsam standen wir noch eine halbe Ewigkeit vor dem Spiegel und bewunderten dieses neue Ich. Ich lächelte durch den Spiegel zurück. Jetzt, mit diesen Supersachen, glichen wir uns noch mehr. Als wären wir Schwestern, was man aber erst merkt, wenn wir gleich angezogen sind. Petra hatte dicken pinkfarbenen Gloss auf den Lippen, mit diesem extremen Glanz wie der Rücken von einem Käfer.
    Als Erstes entflammten ihre Haarspitzen und brannten ab wie eine Zündschnur. Dann sprang das Feuer auf das Gesicht über. Ihre Haare brannten bläulich gelb wie eine Gasherdflamme. Der Lipgloss wurde braun und warf Blasen. Ihre Lippen bewegten sich jetzt, aber nicht Petras Stimme kam zwischen

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