Lieber Osama
würde.
Ich starrte auf die Glut seiner Zigarette und sah meinen Jungen darin verbrennen. Er schrie: MAMI, HILF MIR, nur dass ich überhaupt nichts tun konnte. Weil ich mit dem Mann, der ihn getötet hatte, in dieser Glaskugel zusammenhockte und mir immer noch alles wehtat davon, dass er gerade in mir gewesen war. Ich frage mich, Osama, ob du allmählich kapierst, wie ich mich fühle.
Ich griff in Terence Butchers Haar und zerrte seinen Kopf herum, sodass er mir in die Augen schauen musste.
- Du widerlicher Bastard.
AUF HÖCHSTER EBENE. Das war der Moment. Als er das sagte, gab ich plötzlich nicht mehr dir die Schuld am Tod meiner Jungs, sondern ihm, Terence Butcher. Er hat sie umgebracht. Du, Osama, hast nur das Semtex dazu geliefert.
- Tut mir leid, sagte Terence Butcher. Vielleicht hätte ich dir das nicht sagen sollen. Ich war der Meinung, du würdest es verstehen.
Ich fing an zu weinen, und Terence hielt meinen Kopf und wischte die Tränen mit denselben Fingern weg, mit denen er in billigen Hotelzimmern meinen Rücken streichelte, Teetassen hielt und die Nummer wählte, die meinen Sohn getötet hatte. Ich nahm ihm die Zigarette ab und saß still auf der Bank. Ich weinte ein bisschen, dachte aber an gar nichts, bis die Zigge so weit runtergebrannt war, dass sie meine Haut ansengte. Dann traf mich der Schmerz, und ich schrie und schrie, wie mein Junge geschrien haben muss, als die Flammen in sein Fleisch eindrangen, und dann kotzte ich, ich kotzte über ganz London, und die Kotze rann innen an der Scheibe über St. Paul’s zur Themse hinunter, und als unsere Kugel schließlich am Boden ankam und die Tür aufging, rannte ich hinaus, rannte im Regen über die South Bank und rief: SIE WUSSTEN ES, SIE WUSSTEN ES, SIE WUSSTEN ES, und die Leute glotzten mich an, als wäre ich wahnsinnig geworden, was irgendwie auch stimmte, denn sie standen ja nur im Londoner Regen, ich aber rannte schreiend durch eine Sintflut aus Phosphor, und mein Kleiner rannte hinterher und rief: MAMI, WARTE AUF MICH.
I CH GING NICHT MEHR ZURÜCK ZU Jasper und Petra, sondern in meine Wohnung in der Siedlung. Instinktiv, wie eine Brieftaube, kehrte ich in meinen Schlag zurück. Dort saß ich dann still im Wohnzimmer und schaute aus dem Fenster. Die Sonne ging unter, und die Sonne ging auf wie immer. Nach 1, 2 Tagen klingelte das Telefon, wahrscheinlich die von Scotland Yard, die wissen wollten, wo ich blieb. Ich hörte ihm einfach beim Klingeln zu, auf die Idee abzuheben kam ich nicht.
Wahrscheinlich säße ich noch als staubiges Gerippe auf unserem alten Ikea-Sofa, hätte mich der Hunger nicht aus der Wohnung getrieben. Der menschliche Körper erträgt eben nur eine bestimmte Menge Nichts, und irgendwann wachte ich in einem kleinen Laden in der Columbia Road auf, wo ich mich über die Milchbrötchen mit rosa Zuckerguss hermachte, direkt aus dem Regal. Die Frau mit dem dunkelgrauen Kopftuch kam hinter der Kasse hervor, stemmte die Arme in die Hüften und sah zu, wie ich mich voll stopfte.
- Aber das bezahlen Sie auch, oder?
Ich schaute sie nur weggetreten an, mit vollem Mund und Zuckerguss am Kinn. Ich hatte keine Ahnung, was sie von mir wollte. Sie lächelte und schüttelte den Kopf.
- Tee?, fragte sie.
-Tee.
Tee, ein solides Wort. Und ein großer Trost, ähnlich wie das Geräusch der Handbremse nach einer langen Autofahrt. Durch einen bunten Fliegenvorhang führte sie mich in ein Hinterzimmer. Es war schön da und roch nach alten Sachen, und aus einer Mini-Anlage kam BBC Radio 1. Ich setzte mich auf ein grünes Sofa mit abgewetzten Armlehnen, und eine gelbbraune Katze schaute vorbei und glotzte mich an. Die Frau machte mir einen starken Tee mit Zucker, und wir saßen zusammen, bis ich mich besser fühlte. Es war nur ein winziges Zimmer, aber an der Wand hingen jede Menge Poster von Wayne Rooney und von Mekka und Medina und von Avril Lavigne. Ich schwöre bei Gott, Osama, diese Frau hing dermaßen oft dort, die hättest du mit einer einzigen Bombe nie erwischt.
- Warum sind Sie so nett zu mir?
- Ihr Mann hat bei uns jeden Tag die Sun und eine Packung Benson & Hedges gekauft. Das ist eine Tasse Tee wert.
Die Milchbrötchen musste ich trotzdem bezahlen.
Danach ging ich zu Petra und Jasper, aber keiner verlor ein Wort darüber, wo ich die letzten 3 Tage gewesen war. Vielleicht waren sie nur zu höflich, vielleicht war es ihnen auch gar nicht aufgefallen, aber nach ein paar Drinks war mir das egal, denn ich war nur froh, nicht
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