Lieber tot als vergessen
seine wortschöpferischen Fähigkeiten. Ich gab keine Antwort, und er trank wieder in großen Zügen aus seiner Dose. Ich war nervös. Irgend etwas war im Gange, aber nicht hier. Wir waren am falschen Ort, zumindest ich. »Weißt du was, Keith?«
»Was denn, mein kleiner Zweiventiler?«
»Hör mal, im Ernst. Etwas, das Tony gesagt hat. Hör doch zu. Wo ist Cheryl LeMat?« Ich stieß ihn heftig vor die Schulter.
»Zu Hause. Ich weiß nicht. Sie ist einfach nicht gekommen. Keine Sorge; dann müssen wir uns eben eine andere List ausdenken, um den Mistkerl festzunageln.«
»Keith, hör doch... Cheryl LeMat ist irgend etwas zugestoßen. Ich bin sicher.« Er bemühte sich, nüchterner auszusehen, und es gelang ihm, über einem halbgeschlossenen Auge die Braue hochzuziehen. »Was ist das Schlimmste, was John St. John passieren könnte, vom Sterben mal abgesehen, meine ich?«
»Ein Geschäft zu verlieren?«
»Nein... Cheryl LeMat zu verlieren. Sie zu verlieren — verstehst du nicht?«
»Doch, doch, ich verstehe... Ich liebe dich, Georgina. Keine Sorge, die kriegen alle, was ihnen zusteht.« Sein Kopf fiel leicht nach vorn, und seine Haare verdeckten das blasse, heitere Gesicht. »Wirklich? Er hat gesagt, er bringt St. John nicht um. Was Schlimmeres, hat er gesagt. Das würde er machen. Etwas noch Schlimmeres.« Ich gab Keith einen Schubs. »St. Johns Wohnung ist in Pimlico. Ist sie da die meiste Zeit?«
»Wer?«
»Herrgott noch mal, Keith. Cheryl LeMat.«
Er nickte.
»Kennst du die Adresse?« Ich stieß ihn wieder. »Komm schon. Kennst du die Adresse?«
Er nickte wieder. Der Kerl war fast eingeschlafen.
»Ich gehe«, sagte ich. »Ich nehme mir ein Taxi. Laß mich gehen.«
Es ist schwer, morgens früh um die Zeit ein Taxi zu kriegen, aber um Viertel nach drei waren wir endlich unterwegs. Das Herumstehen in der kalten Schneeluft brachte Keith wieder ein bißchen zu sich. Er zeigte allmählich Interesse an der Fahrstrecke. Ich wollte schneller fahren, aber als das Taxi vor St. Johns Haus neben zwei Polizeiwagen hielt, wußte ich, daß wir es nicht geschafft hatten. Ich ließ den Taxifahrer warten, stieg aus und ging auf einen uniformierten Polizisten zu, der in der Tür stand.
»Was ist los, Officer?« fragte ich, und er wollte wissen, wer ich sei.
»Ich bin... wir sind Freunde von Cheryl LeMat und John St. John. Wir haben in einem Nightclub auf sie gewartet. Dachte, wir kommen mal vorbei und sehen nach ihr.«
Er musterte ich von Kopf bis Fuß, als wollte er sich genau einprägen, wie jemand aussah, der morgens um Viertel nach vier bei jemandem vorbeikam. Er spähte ins Taxi, nickte Keith zu, der Mühe hatte, die Augen offenzuhalten, und notierte sich unsere Namen und Adressen. Ich mußte nachfragen, bevor er uns sagte, daß Cheryl LeMat tot war. Ich sah Keith an, aber dem war das Kinn auf die Brust gesunken.
Es kam im Radio im Zusammenhang mit einer Meldung über Dexter. Wieder eine Überdosis. Diesmal seine Frau. Die Leiche wurde aufgefunden im Haus von Carla Blues Manager und Dexters langjährigem Freund John St. John. John St. John sei der Manager der verstorbenen Carla Blue gewesen, die in Christian Dexters spanischem Domizil ebenfalls einer Überdosis Rauschgift zum Opfer gefallen sei. Im Fall Waits werde keine Anklage erhoben. Die Vorgefundene Computer-Software reichte als Beweismaterial nicht aus. Im Falle der verstorbenen LeMat ermittele die Polizei wegen Mordes. Die Nachrichten drangen schnatternd durch die Bettdecke, die meinen Kopf verhüllte. Ich warf einen Blick auf das Kissen neben mir. Dankenswerterweise war ich allein und hatte keinen Kater. Der richtige Rhythmus, das war die Antwort. Dann zog ich die Decke zurück und schaute auf die Uhr. Es war nach Mittag. Der richtige Rhythmus — Pustekuchen. Bewußtlosigkeit traf’s wohl eher.
»Robert?«
»Ich versuche den ganzen Vormittag, Sie anzurufen, Georgina.«
»Sorry. Ist spät geworden letzte Nacht. Haben Sie die Informationen?«
»Ja.«
»Was ist mit dem Fall Dexter?«
»Mit der Frau?«
»Auch damit.«
»Wir können ihm nichts anhängen. Die Obduktion hat bei Johnny Waits eine normale Rauschgift-Überdosis ergeben. Nichts Bemerkenswertes zum Zeitpunkt des Todes, und auch jetzt nicht. Er war ein Fixer. Wir können nicht beweisen, daß Dexter es getan hat. Es gibt keine Hinweise, und das Computermaterial ist viel zu dünn.«
»War Waits HlV-positiv?«
»Ja.«
»Dann könnte es so was wie Sterbehilfe gewesen sein. Sie könnten es
Weitere Kostenlose Bücher