LIEBES LEBEN
knapp werden würde, habe ich alles noch mit feuerfesten Stoffen von Sheridan dekoriert.
Es klopft an meiner Badezimmertür. »Bist du so weit, Ashley?«, fragt Kay.
Ich fahre mir noch einmal durch die Haare. »Ja, ich komme.« Ich öffne die Badezimmertür, und Kay hat diesen mitleidigen Gesichtsausdruck. »Mir geht es gut«, sage ich.
»Geh einfach und genieße die Hochzeit.«
»Das habe ich vor. Das werde ich!«
Das Telefon klingelt, und ich stürze mich darauf. Jedes Mal, wenn es klingelt, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil es nie für Kay ist. In ihrem eigenen Haus! Ich muss unbedingt meinen eigenen Anschluss haben, bevor sie mich wegen Ruhestörung rausschmeißt.
»Hallo?«, melde ich mich.
»Ashley, ich bin’s, Brea.«
»Sieh bloß zu, dass du kommst.«
»Bleib locker. Ich komme.« Brea räuspert sich. »Ich rufe dich an, um dich daran zu erinnern, dass das der große Tag deines Bruders ist, und das ist ganz in Ordnung so. Dein Bruder hat nicht ›gewonnen‹, weil er vor dir heiratet. Okay?«
»Was soll das? Bist du mein Gewissen?«
»Jemand muss das ja sein. Das ist der wichtigste Tag in seinem Leben, Ash. Er hat keinen Uniabschluss gemacht, ist nicht befördert worden. Für Dave ist das der größte Tag. Okay?«
Aber ich spüre nichts von den Sorgen, die sie sich macht. Ich freue mich sogar für Dave und darauf, einmal aus Silicon Valley wegzukommen. Irgendwie liebe ich meinen Bruder. Natürlich musste ich ihn auch als meinen menschlichen Plagegeist erdulden. Er hat mir zwanzig Jahre lang eingeredet, dass niemand so dumm wäre, mich zu heiraten, hat mir beim Abschlussball die Unterhose zwischen die Pobacken gezogen, mit seinen Freunden mein Tagebuch gelesen, meine Handschrift nachgeahmt und damit einen Liebesbrief an einen Footballspieler geschrieben ... und so weiter. Aber Dave hat sich verändert, und es wird Zeit, dass ich das auch tue.
Ich hole tief Luft. »Ich bin ganz ruhig. Ich werde im Gottesdienst singen und habe den ganzen Morgen gebetet. Mach dir also keine Sorgen. Daves Glück ist auch meines.«
»Ich mache mir ja gerade Sorgen, weil du so locker drauf bist.«
»Wir sehen uns im Gottesdienst.« Ich lege auf, bevor sie ihre Gardinenpredigt fortsetzen kann.
Kay und ich quetschen uns in ihren Honda Accord, und ich wärme den ganzen Weg zum Gottesdienst meine Stimme auf - bis die arme Kay das Lenkrad so krampfhaft umklammert, dass ihre Knöchel weiß werden.
»Bin ich so schlecht?«
»Deine Stimme klingt wunderbar, das weißt du, Ash. Ich bin nur nervös wegen dem Gottesdienst heute. Ich treffe mich danach mit jemandem.«
»Tatsächlich?« Ups, meine Stimme klingt viel zu überrascht.
»Das ist großartig, Kay, wollte ich sagen. Kenne ich ihn?« Bitte, bitte, Gott, lass es nicht Seth sein. Tu mir das nicht an.
»Nein, es ist nur jemand aus einer anderen Gruppe, den ich kennen gelernt habe, als ich einmal mit Sharon gegangen bin.«
»Was ist er von Beruf?«
Sie wagt es, mich anzuschauen. »Was denkst du denn?«
»Er ist Profi-Bungee-Jumper«, sage ich ganz trocken.
»Genau. Er ist Ingenieur.«
»Ich hoffe, dass du trotzdem einen schönen Tag hast. Hast du Rabattmarken dabei?«, frage ich scherzhaft.
»Ich habe welche für drei Restaurants im Geldbeutel.«
»Dann kann nichts schiefgehen.«
Vor der Schule trennen Kay und ich uns, und ich gehe durch den Hintereingang hinein, um noch mal mit der Band zu üben. Die Kerzen sorgen für Atmosphäre, und die Gemeindemitglieder setzen sich brav in die Stuhlreihen der Schulaula. Seth sitzt natürlich in der ersten Reihe. Er geht am Freitag. Es ist beschlossene Sache, alles unter Dach und Fach, und an seiner Wohnung hängt ein »zu verkaufen«-Schild. Ich habe es gesehen.
Die Band beginnt den Gottesdienst mit einem fetzigen Loblied, dass die Wände wackeln. Alle tanzen und erheben die Hände. Während wir so eingestimmt werden, warte ich, bis der Pastor das heutige Predigtthema vorgestellt hat, und gehe dann auf die Bühne, um mein Lied für Gott zu schmettern. Zum ersten Mal seit Jahren konzentriere ich mich dabei ganz auf Gott und nicht darauf, wer mich beobachtet, nicht einmal auf Seth in der ersten Reihe. Nur auf Ihn. Als ich fertig bin, bin ich ganz erfüllt von Ihm.
Nach einem höflichen Applaus wage ich es, mich neben Seth in die erste Reihe zu setzen. Die erste Reihe ist die einzige halb leere Reihe in meiner Nähe, und so beschließe ich, ein tapferes Mädchen zu sein und mich dort hinzusetzen, wo mich Gott
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