LIEBES LEBEN
Loserheim.
Ich habe Kay gefragt, aber sie meinte, sie habe nicht den Eindruck, dass Gott sie in Las Vegas haben will. Da stimme ich ihr voll und ganz zu, aber ich habe keine andere Wahl. Mein Bruder heiratet, und für dieses Wunder würde ich sogar in das Innerste der Erde reisen.
Ich habe daran gedacht, Dr. Kevin nur als »Freund« zu fragen, aber Las Vegas als Reiseziel deutet irgendwie an, dass auch Sex dazugehört, also besser nicht. Und ich bin mir absolut nicht sicher, ob seine neue Offenheit für den Glauben nicht nur vorgetäuscht ist, um mich zurückzugewinnen.
Seth würde nicht annehmen, dass bei einer Reise nach Las Vegas auch Sex mit im Spiel wäre, aber er spricht nicht mehr mit mir. Außerdem, warum sollte ich Gefühle neu wecken, wenn es offensichtlich vorbei ist? Er zieht in einer Woche weg, und wahrscheinlich wird er mir so lange aus dem Weg gehen. Ich sehne mich nach seiner Freundschaft, aber ich weiß, dass wir auch die beenden müssen, zu seinem und zu meinem Besten.
Mein Gesicht ist ganz aufgequollen vom vielen Weinen über das, was ich hätte tun sollen, was ich hätte sagen sollen. Nicht wegen Selectech. Wegen Seth. Ich bin es leid, nachts mit dem Kissen meine Tränen zu unterdrücken, um Kay nicht aufzuwecken, ganz zu schweigen von dem Schleim, den ich dabei eimerweise produziere. Mich in Seth zu verlieben war schön, aber über ihn hinwegzukommen nicht.
Vollkommen emotionslos starre ich in den Badezimmerspiegel. Ich hätte nie gedacht, dass ich der Typ Frau bin, der sich über Beziehungen definiert. Das bin ich auch nicht, aber Seth war ein ständiger Hoffnungsschimmer in meinem Leben. Meine allgegenwärtige Energiequelle. Er war ein Grund, neue Kleider zu kaufen. Natürlich ist mir klar, dass nicht er der Grund war. Es war die Hoffnung, an die ich mich klammerte. Ich weiß, dass Gott bei mir ist, und ich will nicht ohne seine Zustimmung heiraten, aber ich will einen Grund haben, neue Schuhe zu kaufen!
Meine Haare sind endlich wieder lang genug für eine Spange, und ich stecke sie zurück. Ich pudere mein Gesicht, trage etwas Rouge auf und zum Schluss noch meinen Lipgloss. Besser wird es nicht mehr. Ich werfe meinem Spiegelbild eine Kusshand zu.
Ich fliege nach dem Gottesdienst mit dem zwei Uhr Flug nach Las Vegas, aber ich singe heute im Gottesdienst ein Solo. Ich habe heute Morgen lange gebetet, für meinen Bruder und Mei Ling und ihr gemeinsames Leben. Ich hoffe, dass sie glücklich werden und dass ich mich mit ihnen freuen kann. Ich glaube, über die Eifersucht bin ich hinweg, aber man weiß ja nie. Es scheint so unfair, dass Gott Dave eine Partnerin fürs Leben gibt und mir eine Lektion über das Singlesein erteilt.
Brea kommt zur Hochzeit, also bin ich nicht alleine, aber sie bringt John mit. Also wird das auch nicht sehr lustig. Sie werden zu den alten Liedern von Journey tanzen und sich dabei tief in die Augen schauen, und ich werde arbeitslose Cousins ohne Lebensperspektiven abwimmeln - und gegen meine Tanten ankämpfen, die meine Haare im 80er-Jahre-Stil auftoupieren wollen. Oh ja, ich kann es kaum erwarten.
All meine guten Absichten, mich mit meiner neuen Schwägerin anzufreunden, endeten genauso wie der Intel 486 Prozessor - sie gingen zwischen Jobsuche und Singen in der Gemeinde unter. Mein Leben mit Kay hat sich zu einer außergewöhnlichen Erfahrung entwickelt. Es ist etwas anderes, eine Mitbewohnerin zu haben. Sie ist keine »normale« Mitbewohnerin, wie jemand, den man fragen kann: »Sieht mein Hintern in diesen Klamotten zu dick aus?« oder: »Sieht man meine BH-Träger durch?«. Aber sie ist eine fantastische Köchin und bringt mir Unmengen bei über Effektivität und Organisation.
Wussten Sie schon, dass man morgens tatsächlich früher aus dem Haus kommt, wenn man nicht erst sechs verschiedene Sachen anprobiert? Natürlich fühlt man sich dann den ganzen Tag über unwohl, weil man eigentlich gar nicht in der Stimmung für diese Bluse war, aber man kommt pünktlich. Natürlich muss ich jetzt nirgends mehr hin, aber das ist ein anderer Grund zum Jammern. Und ich jammere ab jetzt nicht mehr. Komme was wolle. Ich bin jetzt Annie, die »Tomorrow« singt! Ich bin Maria aus »Sound of Music«! Na ja, das ist vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen.
Wäre Kay nicht so eine Valentinstag-Fetischistin, wäre ich vielleicht sogar gerne in ihrem hübschen kleinen Bungalow. Ich habe das Gästezimmer und das zweite Bad beschlagnahmt. Am Tag bevor ich wusste, dass das Geld
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