Liebesbisse
Sache. Zwei volle, aufgespritzte Lippen.«
»Ich mag deinen Mund, wie er jetzt ist.«
»Ich rede nicht von meinem Mund.«
»Bist du eigentlich völlig übergeschnappt? Immer nutzt du es aus, wenn ich in der Tanzschule bin, und machst irgendetwas anderes. Auf der Rangliste bringt uns das nichts!«
»Doch, ich werde mich besser fühlen, mit einem neuen Schoß werde ich wie eine neue Frau sein. Das gibt einen Bonus von dreizehn Punkten für den Gesamteindruck. Erinnerst du dich?«
»Ich finde, das hat keinen Sinn. Geh lieber zum Friseur und lass die Farbe auffrischen. Du siehst aus wie eine abgehalfterte Nutte!«
»Werd bloß nicht frech! Wir müssen die Ausscheidung gewinnen. Versteh doch, wenn wir unter die Ersten kommen, wird sich unser ganzes Leben verändern.«
»Da gibt es nichts zu verstehen – nur Schritte, die man lernen muss.«
»Wenn man etwas erreichen will, ist es sehr viel komplizierter. Du, du nimmst ab, und ich lasse mich währenddessen aufpolieren. Dann können wir tanzen, ohne uns für den anderen schämen zu müssen. Die Jury spürt das. Du wirst dünner, und ich mache mich schön. Wir müssen unsere Turnierlizenz bekommen, ich kann es kaum erwarten, an Meisterschaften teilzunehmen.«
»Das schaffen wir nicht. Rock ’n’ Roll ist zu schnell, beim Tango wird mir heiß, und dir wird beim Walzer schwindlig.«
»Schlaf jetzt! Und denk zum Einschlafen an all die Reisen!«
»Geschwätz! Wir kommen nur in Turnhallen herum. Außerdem will ich nicht mit dir reisen.«
»In der Tanzschule wiederholst du Armhaltung und Schritte, ja? Du wiederholst, sonst vergisst du es. Und bis Sonntag nimmst du fünf Kilo ab. Das Ganzkörpertrikot wird dir passen wie angegossen.«
»Mit deinen aufgespritzten Lippen verändert sich unser Gleichgewicht. Immer machst du alles kaputt!«
»Sei still und schlaf. Entspann deinen Kiefer und versuch zu lächeln. Denk an den Juror von rechts, er achtet nicht auf unsere Füße, er erwartet von uns lediglich Eleganz.«
»Ich will nicht tanzen.«
»Doch!«
»Ich will nicht mehr mit dir schlafen.«
»Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
»Ich bin zu alt. Ich will eine hübsche, nette Frau, und ich werde nicht mehr in die Tanzschule gehen.«
»Du spinnst! Dich wird keine Frau nehmen, glaub mir. Bleib bei mir. Komm schon, dreh dich um, ich schmiege mich an. Ich werd’s dir geben – einfach weggehen zu wollen!«
»Dein Bauch ekelt mich an, hör auf, meinen Rücken nass zu machen.«
»Schlaf wieder, oder ich knall dir eine. Es ist noch nicht morgen.«
»Ja, aber wenn noch gestern ist, habe ich noch meine beiden Beine und kann weggehen.«
»Nein, es ist heute, und ich habe sie gefesselt, am Fußende angebunden. Wenn es morgen ist, werde ich deine Hände festbinden. Deine Gliedmaßen müssen spüren, dass sie zusammengebunden, dass sie gefangen sind. Wenn ich dich freilasse, hast du Lust zu tanzen.«
»Du hast kein Recht, mich zu fesseln.«
»Du bist mein Tier. Ich mache, was ich will. Schlaf jetzt, oder ich werde sauer. Schlimmer Bengel! Küsschen für Maman.«
»Nein!«
»Doch. Küss mich, sage ich!«
»Nein. Ich werde gehen. Ich werde nie mehr zurückkommen. Du wirst niemanden mehr haben, der mit dir tanzt. Deine Lippen – das ist umsonst! Du wirst mich nie erregen.«
Die Mutter nahm das Beil, das sie unter dem Bett liegen hatte für den Fall, dass der Vater eines Nachts zurückkäme. Zuerst hackte sie ihm den rechten Fuß ab, dann den linken, und sie sagte: »Mein Kleiner, heute Nacht gehorchst du – werde steif!« Und dann schob sie ihn in sich hinein und kam sofort.
Der Sohn machte keinen Mucks, er wartete, bis sie schlief. Nur im Sterben sagte er, dass es mit den Turnieren nun vorbei sei für sie. »Allein kannst du nicht tanzen! Du hast mich gebraucht! Ich war dein Partner, ich werd’s dir schon zeigen – du wirst schreien, wenn du nachher erwachst.« Und zum ersten Mal wurde das Kind steif, bevor alles aus ihm herauslief.
Neun Monate später brachte die Mutter schreiend und schwitzend einen winzigen Bastard auf die Welt, den sie Sultan nannte. Sie denkt, dass er in fünfzehn Jahren bereit sein wird zum Tanz, und während sie darauf wartet, sieht sie zu, wie er die Füße bewegt. Sie sagt sich: Der da ist ein schöner Tanzbär. Viel besser, als der letzte es je geworden wäre. Und es lohnt sich zu warten, wir können Erste werden.
Die Last der Freiheit
Wenn ich dir sage, du sollst aufräumen, und du tust es nicht, kränkst du mich.
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