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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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für unmöglich, mich in diesem gottverdammten Haus aufzuhalten, ich marschierte heraus, sie versuchte
     mich aufzuhalten, aber ich fuhr los, fast hätte ich sie überfahren …
    Sie trug ihren Ring nicht mehr, sie hatte ihn getauscht gegen eine Wallfahrtsmedaille aus goldenem Filigrandraht, zwei Putten
     hielten einen Lorbeerkranz über dem Haupt einer bekrönten Frau, die Medaille ruhte in der Mulde zwischen ihren Brüsten, sie
     hatte sich mir nicht zugewandt, sie kniete und blickte auf die Statue in der Grotte, und ich fragte sie ein drittes Mal.
    Kann das Zufall sein, daß wir uns wiedertreffen?
    Nichts ist Zufall, sagte sie.
    Du hast mich hier nicht erwartet, sagte ich, in dieser Millionenstadt ist es sehr unwahrscheinlich, daß sich ein Mann und
     eine Frau wiedersehen. Es ist sehr unwahrscheinlich |316| , weil es sehr sehr viele Kirchen gibt. Und hier bin ich, und hier bist du.
    Hast du in den Kaffeehäusern nach mir gesucht?
    Nein, sagte ich.
    Wieso nicht?
    Die Menschen verstecken sich dort hinter großen aufgeschlagenen Zeitungen, sagte ich, sie lassen sich Likör oder Schnaps in
     ihren Kaffee gießen. Sie trinken Schluck um Schluck, lesen unerhebliche Nachrichten und sind deprimiert. Eine alberne Beschäftigung.
    Meine Mutter, sagte sie lächelnd, Gott hab’ sie selig, gab mir einen Leiblappen, einen Gesichtslappen und einen Polappen,
     und sie schickte mich ins Bad und rief mir jedesmal zu, ich sollte mich bloß auch hinter den Ohren putzen. Als ich dann wieder
     herauskam, nach dem Säubern und Putzen, sagte sie: Wieso ist der Polappen trocken? Und ich sagte: Es ist unkeusch. Und sie
     sagte: Mach’ keinen Aufstand! Ich war fünfeinhalb und wußte, was sich gehört und was nicht.
    Die Tür ging auf, Gabriel stürmte herein und stockte mitten im Schritt, er sah mich, der ich neben der Niederknienden stand,
     und wie immer, wenn er überrascht oder überfordert war, fing er an, mit dem Daumen den Nagel seines kleinen Fingers zu polieren.
     Ich schüttelte abwehrend den Kopf, doch er kam näher, und in diesem Augenblick erhob sich Tyra, bekreuzigte sich und blickte
     auf jene zwei Männer, die sie bei ihrer Andacht gestört hatten.
    Das ist mein bester Freund Gabriel, sagte ich.
    Ich komme, um ihn zu holen, sagte Gabriel.
    Es hält ihn hier nichts auf, sagte Tyra.
    Ich würde dich gerne wiedersehen, sagte ich.
    Ich bin morgen zwischen zwölf und eins auf dem Friedhof der Namenlosen, sagte Tyra, sie drückte mir kurz die Hand und rauschte
     davon, vielleicht raunte ihr |317| ein Unsichtbarer ins Ohr, flüsterte ihr Worte ein, die das Verruchte verdorren ließen, vielleicht hatte sie einen Gnadenerweis
     erhalten in einer Gegend, die ich nicht kannte und deren Einwohner an die Ausgießung des bösen Geistes glaubten, in der Urzeit,
     und die deshalb jeden Tag mit Beschwörungen verbrachten.
     
    Du siehst aus wie mit der Brotkruste aus dem Urwald gelockt, sagte Gabriel.
    Du hast sie gesehen.
    Ja, das habe ich, sagte er, es lohnt sich.
    Es ist nicht vergeblich?
    Alles ist vergeblich, rief Gabriel lachend, und weil ich halb damit rechnete, daß er sich in diesem Gotteshaus wie ein Berserker
     aufführen würde, steuerte ich auf den Ausgang zu, draußen blendete mich das Licht, und ich schloß die Augen und stand einfach
     da. Als ich die Augen wieder öffnete, bemerkte ich Napp, der sich mit einem Handschlag von den alten Männern verabschiedete,
     die Männer mischten sich unter die Touristen in der Einkaufsstraße, und wenig später führte uns Napp in eine enge Gasse und
     zu einem Café, das mit einem schattigen Gastgarten warb, wir setzten uns auf Stühle, deren zerplatzter Lack unter unserem
     Gewicht herunterrieselte, die Kellnerin saß auf einer Treppenstufe und führte ein Mobiltelefongespräch, sie sprach eine fremde
     Sprache und sagte plötzlich auf deutsch: Sie sind alle im Irrtum, sie schaute die ganze Zeit auf den Boden, sie würde schon
     an unseren Tisch herantreten, wenn sie es für angebracht hielt. Napp hatte es nicht übers Herz gebracht, die Alten zu betrügen,
     er wollte nicht zu den geistig Verschmutzten gehören, von denen er in seiner Geschichte gesprochen hatte, er hatte sie über
     seine unlauteren Absichten aufgeklärt, wer die höhere Gewalt vernachlässigt, ist ein Tropf, sagte er, der Teufel hätte |318| mich mit der glühenden Mistforke vor sich hergetrieben, hätte ich diese lieben Leut um ihr Geld gebracht.
    Die lieben Leut, wiederholte Gabriel.
    Das waren sie doch, oder

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