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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Wiens Straßen, um sich ein System im Kopf zurechtzulegen.
    Ich schlage die Zeit tot.
    Freu’ dich doch.
    Ich freu mich, sagte ich.
    Es war kein Zufall, stellte er fest.
    Nein.
    In Nienburg war es vielleicht ein Zufall. Aber zwei Zufälle sind ein Zufall zuviel.
    Danke, sagte ich.
    Ich will dich nicht trösten … Ich verzichte auf das Spesengeld.
    Nein, sagte ich, ich bestehe darauf.
    Der Regen hat mir gefallen, sagte er, die Hitze legt mich lahm. Morgen werde ich in der Apotheke Kalziumtabletten kaufen.
     Sonst bekomme ich Hitzebläschen.
    Ich weiß, sagte ich und schaute an ihm vorbei zu dem |321| klugen kleinen Mädchen, das den Menschen, den Erwachsenen, lieber beim Stolpern zusah.
    Allein sein hat keine Vorteile, sagte Gabriel und schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr davon, ich sah den Wind mit seinen
     langen Haaren spielen, sein Hemd flatterte um seinen Gürtel, und er schaute sich nach der Frau im indischroten Kleid um, und
     ich konnte aus der Entfernung sein Lächeln erkennen. Ein alter Albaner taumelte ins Gestrüpp, der Großvater und die fremden
     Onkel lachten ihm hinterher und ließen die Flasche Marillenschnaps herumgehen.
     
    Es stand in den Zeitungen, man sollte nur die Augen leicht zukneifen, und schon könne man den Wüstensand im Wind erkennen,
     die Zeit der Regenfälle war vorbei, die Notärzte behandelten verstärkt Asthmatiker und Männer und Frauen, die in der Mittagshitze
     den Rasen gemäht oder intensiven Sport getrieben hatten. Es gab eine starke Nachfrage nach Ventilatoren und Klimageräten,
     und die Besitzer von dunklen Familienlimousinen schmorten in ihren Wagen, die Gebrauchtwagenhändler konnten sich vor Angeboten
     von schwarzen Autos nicht retten. In anderen Landesteilen hatte die Hitze schon Todesopfer gefordert, jetzt legte sich der
     Wüstensand wie ein feiner Abschlußfirnis auf die Dächer der Bürgerhäuser aus den vergangenen zwei Jahrhunderten, und jeder,
     der dem Traum von Verlorenheit nachhing, konnte wunderbar sich verirren in den Gassen Wiens. An solchen heißen Tagen wurden
     die Frauen unnachahmlich schön, sie trugen Sonnenbrillen, und ihre Köpfe glichen Sphinxhäuptern, und weil sie es insgeheim
     wußten, ahnten sie auch, daß ihre Sommerherrschaft nicht vom Begehren der Männer abhing, ihre Schönheit war unanfechtbar.
     Über Nacht hatte sich alles verändert, Wien glich einer tropischen |322| Garnisonsstadt. Ich hatte gleich nach dem Aufstehen eiskaltes Wasser aus dem Hahn getrunken und mich an Jarmilas Worte erinnert,
     sie hatte gesagt, daß Wasser nicht betrog und man mit Wasser gut Freundschaft schließen könnte, ihre seltsamen Weisheiten:
     Wo kommen die Essensreste hin? In den Schweineeimer. Wo kommen die schlechten Gefühle hin? In den Kopf, und der Kopf schwitzt
     nicht, es bleibt alles drin. Ich mußte lächeln, und ich wartete vor Gabriels Zimmertür, bis es mir gelang, das Lächeln zu
     unterdrücken, und nach einmaligem Klopfen bat er herein, er machte vor der geöffneten Balkontür eine Streckübung, er hatte
     die Füße leicht nach innen verdreht, jetzt beugte er sich tief nach unten und umfaßte mit den Zeigefingern die Großzehen,
     seine langen Haare lagen wie ein kleiner Bettvorleger auf dem Fußboden.
    Was machst du da?
    Ich verankere mich in der Position des Reihers, der mit seinem langen spitzen Schnabel die Oberfläche des Wassers zerteilt
     und für kleine Wellen sorgt.
    Willst du dich nicht aufrichten? sagte ich.
    Nein, rief er dumpf, ich bekomme dann einen hochroten Kopf.
    Wir sollten losfahren, sagte ich.
    Man soll diese Übung nicht machen, wenn man unter Zeitdruck steht oder müde ist.
    Sie wartet, flüsterte ich.
    Es ist noch viel zu früh, stellte Gabriel fest und richtete sich langsam wieder auf, er blickte auf den Hunderteuroschein,
     den ich auf das Kissen gelegt hatte, holte tief Luft, schlüpfte in seine Strümpfe und seine hellblauen Wildlederschuhe, er
     bat mich, hinunterzugehen in den Frühstücksraum und zwei Schwarzbrotscheiben mit gekochtem Schinken zu belegen, für ihn, den
     die Reiherübung doch sehr beansprucht hätte. Ich folgte seiner |323| Bitte und wartete in der Sonne neben seinem Wagen, und als er endlich erschien, immer noch mit hochrotem Kopf, reichte ich
     ihm die belegten Brotscheiben, die ich in Zeitungspapier eingeschlagen hatte. Er wickelte sie aus und biß ab, und als wir
     vom Museumsplatz auf den Ring vorstießen, hatte er die Brote schon aufgegessen, ich las die Straßenschilder, Am

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