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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Heumarkt,
     Vordere Zollamtsstraße, wir fuhren am Donaukanal entlang, bis wir über die Südosttangente das Ufer der Neuen Donau erreichten.
     Wir fahren die Freudenauer Hafenzufahrtsstraße bis zum Alberner Hafen, sagte Gabriel und erzählte von den Grabschändern, die
     die Bronzebuchstaben der Steininschriften abmeißelten oder die in den Stein eingebetteten bronzenen Grablichter herausbrachen,
     wir schlängelten uns an alten Speichern und neuen Getreidesilos vorbei, ich nahm immer wieder die Sonnenbrille ab und wischte
     mir mit dem Hemdärmel den Schweiß vom Gesicht, und endlich parkten wir auf einem freien Platz, ich sprang vom Sitz herunter,
     ich las das Warnschild, auf dem stand, daß der Aufenthalt unter den Bäumen bei Wind und Sturm gefährlich wäre, ich betrat
     also ein nicht gesichertes Gelände, ich steckte mir aus Verlegenheit eine Zigarette an, und weil ich aber den Friedhof nicht
     mit brennender Zigarette betreten wollte, zog ich hastig mehrmals daran und ließ sie fallen.
    Ich warte hier, sagte Gabriel.
    Du willst nicht mitkommen?
    Es wartet dort keiner auf mich, sagte er.
    Ist mir recht, sagte ich und kletterte vorsichtig die Treppe an der kleinen Auferstehungskapelle herunter, dann aber blieb
     ich stehen und sah die einfachen schmiedeeisernen Kruzifixe an den kleinen unbewachsenen Erdhaufen, sie reihten sich hintereinander
     auf zum Spalier, der helle Gekreuzigte auf dunklem Kreuz, |324| ich ging hinunter und las auf den Grabplatten die Worte: Namenlos, Unbekannt, Unvergeßlich, und auf einer Grabplatte las ich:
     Ertrunken durch fremde Hand im elften Jahr, und weil ich immer vor Schildern stehenblieb, las ich auch die Zeilen auf dem
     Gedenkstein, der den namenlosen Opfern der Donau gewidmet war:
    Wenn Ruh und Frieden Ihr gesucht
    Ihr arggequälten Herzen
    Fern von der Welt, die Euch nun sucht
    Hier giebt es keine Schmerzen.
    An einigen Kreuzen hingen verdorrte Trauergebinde, es traf mich in diesem Augenblick, und wie von selbst bildeten meine Hände
     zum Himmel offene Kuhlen, und ich sprach für die Seelen der Namenlosen, der Unbekannten, der Unvergeßlichen ein islamisches
     Gebet, und als ich das Abschlußamen sprach, mit den flachen Händen über das Gesicht strich und Gott um die Erhörung meines
     Gebets bat, als ich wegen der Hitze verschwitzt und wegen der Toten bekümmert die Augen öffnete, sah ich Tyra mich betrachten,
     sie stand ganz hinten im Schatten der Mauer an einem Grab, mit wenigen Schritten war ich bei ihr und sah hinab auf die Steinplatte,
     in die ein toter Vogel mit leicht aufgerissenem Schnabel eingemeißelt war, und wie von selbst fand ihre Hand meine Hand, und
     ich konnte nichts dagegen tun, daß meine Hand in ihrer Hand schwitzte. Und wie eigenartig, neben einer traurigen Frau zu stehen,
     die ein Amulett mit Troddeln und falschen Münzen und Kaurischnecken trug, ich fragte sie, ob sie Stimmen hörte, und sie verneinte,
     ich fragte sie, was sie dann hörte, und sie bat mich, sie zu lassen, sie löste ihre Hand von der meinen, sie wandte sich ab,
     und die Wallfahrtsmedaille pendelte kurz zur Seite, und sie hielt sie fest. Es tröstete sie eine große Kraft. Sie war kein
     Zögling einer grausamen Mutter, und doch sprach sie von ihr, von ihrer |325| Mutter, die schwarze Teller auf den Tisch stellte, immer dann, wenn es Fisch gab, es war für sie lange Zeit ein Rätsel gewesen,
     bis die Mutter ihr erzählte, daß sich auf schwarzem Grund die Gräten am besten sehen ließen. Ich folgte ihr, stieg die Treppen
     hoch und las auf einer Gedenkplakette, daß der eigentliche Friedhof der Namenlosen sich im Bereich zwischen Domkapelle und
     Hafeneinfahrt befunden hatte, der Friedhof wurde im Jahre neunzehnhundert aufgelassen, vierhundertachtundsiebzig Opfer des
     Stroms lagen heute noch dort bestattet, Tyra trat über ein totes Gleis und wollte zwischen kniehohen Büschen in den Wald schlüpfen.
    Hier sind doch bestimmt Zecken, sagte ich.
    Komm einfach mit, sagte sie und nahm mich bei der Hand, und bald standen wir vor zugewachsenen Erdbuckeln, sie wollte nicht
     verweilen, nach ein paar Schritten traten wir aus dem kleinen Waldstück heraus, und auch hier, am Ufer des Hafenbeckens, trieb
     es sie an, weiterzugehen, in einem großen Bogen kehrten wir zurück zum Wagen, in dem Gabriel hinter dem Steuer saß und eine
     Karte studierte. Blütenstaub auf ihren Schuhen. Sie ließ mir den Vortritt, dann stieg sie ein, Gabriel nickte ihr wortlos
     zu und startete den Motor,

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