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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Seite geworfen, oder vielleicht nur das Wundmal am Hals einer Märtyrerin angeschaut, diese Wachsfiguren, die man mit Taft
     und Samt und Brokat kleidete und in Glassarkophage legte, zum Frommen des Volkes, diese Figuren waren doch nur grausame Zeugnisse
     dafür, daß die Männer nicht erwachsen werden, aber nein, ich verstand die Schöne, wenn sie sagte: Die Neapolitaner lieben
     das Fegefeuer, weil sie unter dem Vulkan leben, ich verstand sie, wenn sie sagte: In Deutschland habe ich einen Mann getroffen,
     in einer Bar, und ihm eine Geschichte erzählt über Frauen aus gutem Hause, über die höheren Töchter, die |331| von zu Hause ausreißen und eine Nacht in einer Höhle verbringen, ihre Angst, daß ein Wilddieb oder ein herumstreunender Mann
     ihre Not ausnutzen könnte, ist groß, sie bleiben also wach, und Gott läßt ihnen in ihrer Einsamkeit Gnade zuteil werden, und
     doch sterben sie viele Tage später eines gewaltsamen Todes und werden vom Volk als Heilige verehrt, und es ist eher unerheblich,
     daß die Kirche diese höheren Töchter heiligspricht. So geschah es in den vergangenen Jahrhunderten, und es ist gut, daß die
     Wachsfiguren uns daran erinnern … Ich verstand sie. Ein Mörder, der Angst vor der Dunkelheit hat, wird berührt und schwört
     dem Bösen ab.
    Es gibt Männer, die ihre ganze Barschaft auf die Heiligkeit einer fremden Frau verwetten, Männer, denen es nie einfiele, gegen
     die Dienstvorschriften zu verstoßen, geben ihre Häuser auf, begeben sich in Lebensgefahr, weil sie sich immer gefragt haben,
     ob es eine Kraft gäbe, die sie beschützte. Ich hoffte die ganze Zeit auf Spuren zu stoßen, die die Schöne als Betrügerin entlarvten,
     doch es war sinnlos.
    Kurz vor dem Einschlafen hörte ich ein Kratzen im Nebenzimmer, es ängstigte mich nicht, ich wußte, daß ein kleines Tier in
     seiner kleinen Höhle herumging, seine Nägel schrappten über den kalten Stein, und dann kam der Traum über mich.

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    Wir waren in Richtung Stadtrand unterwegs, auf Gabriels Ratschlag hin hatten wir Pullover und Jacken mitgenommen, es würde dort draußen und dort oben fünfzehn
     Grad kälter werden, und Gabriel war in der Laune, Vorbereitungen zu treffen, er hatte in der Zeitung gelesen, daß ein LKW-Anhänger
     auf der Südosttangente Feuer gefangen hatte, auf seiner Stadterkundungsfahrt mit seinem Fahrrad hatte er gestern meterhohe
     schwarze Wolken gesehen. Tyra saß neben mir am Fenster. Sie sah hinaus, und ich achtete sehr darauf, daß sich unsere Beine
     nicht berührten, denn sie hätte sonst angenommen, daß ich Lust provozierte auch dann, wenn es nur darum ging, die Wartezeit
     zu überstehen. Wir fuhren Richtung Wien-Neustadt wegen einer Baustelle in einen Stau, die Arbeiter standen rauchend am Rande
     eines frischgeteerten Streckenabschnitts und schauten auf die malmenden und spuckenden Maschinen, und dann ging es weiter,
     und Gabriel, der ein kurzärmeliges Hemd trug, bat um die Sonnenmilch und cremte sich damit die halbverbrannten Unterarme ein.
     Wien-Neustadt, sagte er, ist im Weltkrieg, im zweiten, in Schutt und Asche gelegt worden, fünfzigtausend Bomben haben die
     Alliierten abgeworfen, auf den Trümmern der glorreichen Monarchie hat man aber schnell Österreichs einzige Ausbildungsstätte
     für Offiziere errichtet, die Theresianische Militärakademie. Er befand einen Besuch unserer unwürdig und bog vor Wien-Neustadt
     ab, ich sah von der Landstraße abgesetzte alte Kastenhäuser |333| mit verwitterten Fassaden, und als wir in Puchberg, einem heilklimatischen Kurort, ankamen, war der Signalstärkebalken auf
     dem Display meines Mobiltelefons ganz unten. Tyra stieg aus und ging hinunter zum Teich, ich folgte ihr in einigem Abstand
     und sah ihre von Mückenstichen übersäten Waden, sie warf ein Zehncentstück in den Fischfutterautomaten und streute eine Handvoll
     ins Wasser, die Forellen schnappten nach den Bröckchen, an ihren aufjappenden Mäulern brach sich das Licht.
    Die Herzgruft war geschlossen, sagte ich.
    Dann ein anderes Mal, sagte sie.
    Wieso schickst du mich an solche Orte?
    Ich weiß nicht, sagte sie, es war doch nur ein Vorschlag.
    Die Habsburger Herzen, sagte ich, dort sind sie bestattet. Und die herzlosen Körper – wo liegen sie?
    Das geht mich nichts an.
    Du hast dich verändert. Du hast Trost gefunden.
    Ja, flüsterte sie.
    Ich tue alles für dich, meine Liebe, sagte ich.
    Nein, sagte sie nur und wandte sich ab, ich sah sie hinaufsteigen

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