Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
wir fuhren am Hochwasserschutzdamm entlang, der Weg führte uns an Sonnenblumenfeldern und Kleingartenkolonien
     vorbei, und ich sah zur Rechten den Wildpappelwald, der keinen Fluch eines Gehenkten auf sich gezogen hatte, wir hielten vor
     einem Fischrestaurant in der Au, das den Namen ›Zum rostigen Anker‹ führte.
    Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster, und als der Kellner kam, legte ich den Finger auf die erste Zeile der unter Naschwerk
     angeführten Süßspeisen in der Speisekarte, dort stand: Maroninockerl mit Weichselsoße, und ich fragte, was denn eine Weichselsoße
     wäre, doch er wußte es nicht, vielleicht Schokoladensoße, sagte |326| er, vielleicht aber auch Wildfruchtsoße. Sie schwieg, sie schaute hinaus auf die Heuballen auf dem Feld, und etwas später
     stippte sie mit Brot die Suppe auf, wir aßen schweigend. Dann sagte Gabriel: Der Mann, der über dir wohnt, hat bei dir geklopft,
     er ist heruntergeschlurft in seinen Plastikgaloschen, und er rieb seine Handknöchel über die Milchglasscheibe in deiner Wohnungstür,
     ich hielt es nicht mehr aus, er wußte doch, daß du verreist warst, er tat es trotzdem, nachts, und ich lag im Bett und mir
     grauste es, Tag für Tag dieses grausige Geräusch wie Geisterwispern, da habe ich eines Nachts die Tür aufgerissen, um ihn
     anzuschreien, Ruhestörung ist ein Verbrechen, als ich ihn aber sah, habe ich wirklich Angst gekriegt, eigentlich sah er mich
     an, nur kurz, er drehte sich zu mir um und drehte mir wieder den Rücken zu, tote Augen, nein, glasige Augen, er war ein verdammter
     Schlafwandler, und er ist nicht aufgewacht, weil ich bei seinem Anblick das Schreien vergessen habe. Wenn du zurück bist,
     mußt du was dagegen unternehmen.
    Ja, sagte ich.
    Man wickelt rote Stoffetzen um das Vorhängeschloß, zum Schutz vor dem Einbrecher, vor dem Teufel, sagte Tyra.
    Wer macht das? sagte Gabriel.
    Die Menschen im Süden, sagte Tyra, die Neapolitaner.
    Das hält bei uns in Kiel niemanden auf, sagte Gabriel.
    Sie legen dem Totenschädel des Ahnen eine Festmaske auf, fuhr Tyra fort, der Schädel wird zu Hause aufbewahrt, und wenn man
     ihn von der Maske befreit, befragt man ihn.
    Eine sonderbare Sitte, sagte Gabriel.
    Woher weißt du das? sagte ich.
    |327| Ich reise in eine Stadt und lese nicht die Stadtführer, sagte Tyra.
    Am besten, man spricht mit den Einheimischen, sagte Gabriel, das habe ich getan. Der rostige Anker auf dem Betonsockel draußen
     vor dem Eingang, ich dachte erst, verdammt, die Kunst macht nicht einmal vor der Au halt. Da habe ich kurz mit dem Kellner
     gesprochen. Er kommt aus irgendeinem Slawenland, und man hat Mühe, ihn zu verstehen. Jedenfalls hat er mir erzählt, daß dem
     Anker eine Hand fehlt …
    Eine Hand? sagte ich.
    So nennt man wohl die abgehenden Krallen. Der Anker gehörte zum Boot eines jungen Fischers, den das Donauweibchen auf den
     Grund gelockt hat. Man hat später nur den Anker gefunden.
    Dein Freund Napp hat die Geschichte etwas geändert, sagte ich.
    Er fährt manchmal hier raus. Der Slawe kennt ihn, tut aber so, als würde er ihm unbekannt sein.
    Willst du keine Nachspeise? sagte ich.
    Nein, sagte Tyra, ich möchte lieber gehen.
     
    Ist der Empfang gut?
    Ja, sagte ich, und umrundete die Pestsäule am Graben, bis ich vor dem zentralen Sockelfigurenbild stand: Eine ausgemergelte
     Hexe mit Altweiberzitzen wurde von einer Putte niedergehalten, einer femininen Gestalt in Mönchskutte stak ein Kreuz aus der
     Brust.
    Falsch, rief Jarmila, die Hexe, das ist die Pest, und der Engel hält eine Fackel mit großem Griff in der Hand und ist kurz
     davor, sie anzuzünden, die Hexe, und daneben hält ein Heiliger Wache, das Kreuz ist seine Waffe, und es steckt nicht in seinem
     Körper.
    Natürlich sah ich es jetzt auch, ich sah auch, weil sie es mir am Telefon erklärte, den König auf Knien beten, |328| er hatte einen fürchterlich vorgeschobenen Unterkiefer und trug eine Perücke, die seinen zwergenhaften Wuchs unterstrich,
     das war ein König aus dem achtzehnten Jahrhundert, erinnerte mich Jarmila, und immer wenn er vor dem Spiegel stand und sich
     anschaute, überhäuften die Lakaien und die Hofschranzen ihn und sein Spiegelbild mit Komplimenten, da hat er sich wohl gedacht,
     er wäre ein richtig schöner Mann. Bei mir in Prag rennen die schönen Menschen dem Geld hinterher wie der Teufel hinter der
     Seele, wie ist es in Wien?
    Ich wußte es nicht, ich verabschiedete mich von ihr und steckte mein Mobiltelefon

Weitere Kostenlose Bücher